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Archiv-Artikel

Damals beim Stadtfest

FOLKROCK Der US-amerikanische Songwriter Cass McCombs gastierte mit Band und den Songs seiner letzten beiden Platten im Roten Salon

Später kamen natürlich auch die Rocknummern

Wie konnte man so falsch liegen? Cass McCombs ist gar nicht der „Morrissey von Kalifornien“, sondern eher eine junge Version von Van Morrisson. Schon wie er aussah an diesem ruhigen Dienstagabend in Berlin, in diesem plüschhaften, schummrigen Roten Salon neben der Volksbühne: unrasiert, mit einer zweifelhaften Unfrisur, einem weißen T-Shirt unter einem Hemd, das nach C&A aussieht und Nachlässigkeit behauptet.

Vielleicht auch kein Wunder. Denn der gute Mann, der eine Stimme hat, die eben in ihrer Croonerhaftigkeit durchaus mit Morrissey mithalten kann und manchmal sogar nach Chris Isaak klingt, ist von jeher ein Nomade, der zeitweise im Auto bzw. aus dem Auto heraus gelebt hat und von Stadt zu Stadt zog und dann allmählich dazu überging, in jeder neuen Stadt eine neue Platte zu machen. Und jetzt steht er da in seiner ganzen Nachlässigkeit, hat eine komplette Band dabei (Schlagzeuger, kleiner Gitarrist, sitzender Mann mit Keyboards, die gern nach Fender Rhodes klingen, und hochgeschossener Bassist, der immerhin als Einziger das branchenübliche Flanellhemd trägt) und singt in den Roten Salon hinein, der eh ganz schummrig wirkt, mit hoher Pärchenquote und zu wenigen Polstersesseln, auf denen es sich komfortabel lümmeln ließe zu dieser bequemen, langsamen Folkpopmusik.

Cass McCombs, Mitte dreißig, ein kleiner Mann mit gutem Gespür für Stimmungen, so war das ungefähr. Anfänglich hatte der Mischer ihm auch so viel Hall auf die Stimme gelegt, dass man sich fühlte wie bei einem dieser Stadtfeste in der Provinz, wo arme Musiker vor ungefähr handgezählten fünf Interessierten und einer Menge biertrinkender und quatschender Passanten irgendetwas perfekt nachspielten, nie ohne diesen Hall, der dann Räumlichkeit suggerieren soll, die doch eh schon im Überfluss vorhanden ist. Auch an diesem Abend war es ähnlich: In den hinteren Reihen wurde gequatscht, an den Seiten knutschte man herum, vorn und in der Mitte schaukelte man sich in eine Gedankenlosigkeit hinein, die gut zu der Musik passte.

Und McCombs und Band ließen sich durch nichts stören. McCombs hat seit 2002 sechseinhalb Platten veröffentlicht und ist nach Matador und 4AD inzwischen bei Domino gelandet, also in den oberen Etagen der unteren Popmusik, genannt Indie. An diesem Abend hält er sich allerdings nicht mit Nostalgischem auf, sondern spielt das, was auf den letzten beiden Platten drauf ist, die beide im Jahr 2011 erschienen sind – und das ist eben langsamer, aber feiner Folkrock, der nicht nur nach Van Morrisson, sondern eben auch nach Bill Callahan klingt. Also nach einer Betrübnis, die gewissermaßen vordepressiv ist. Man hätte „Langsamer! Slower!“ rufen mögen an diesem Abend. Dann wäre das krasser Slow Core gewesen, der die Zuhörer in arge Zweifel hätte versetzen können. So blieb das alles eine Spur zu angenehm.

Später kamen natürlich auch die Rocknummern, „The Same Thing“ etwa, da stand man dann auf und bewegte sich etwas, und schon wieder fühlte man sich an ein Stadtfest erinnert, wo die Leute, sind sie einmal in Stimmung, auch aufgeschlossen und bewegungsfreudig sein können. Andererseits – musikalisch ist das, was Cass McCombs nach seinen etwas, sagen wir, beflügelteren Platten der Anfangszeit so treibt, natürlich schon von höherem Niveau. Die Band spielt langsame Schleifen, die mit kleinen Haken daherkommen, im Grunde könnte jedes Stück noch endlos lang so weitergehen. Und, auch das sei angemerkt, von wegen Morrissey, es geht bei Cass McCombs immer auch um die Texte. Die sind nicht nur feinsinnig, sondern öfter auch mal bösartig und doppeldeutig.

Dafür sollte man ihm einmal eine neue Garderobe schenken. Empfehlen hilft da nämlich oft nicht. RENÉ HAMANN