: Angetackerte Gehirne
Temporeich wie ein B-Movie geht „Das deutsche Haus“ in Göttingen neurechter Verführung nach und denen, die darauf reinfallen. Philipp Löhles Stück bietet reichlich Witzfiguren auf, aber ihrem eigentlichen Thema weicht die Inszenierung aus
Von Jens Fischer
Es ist gar nicht lustig. Deswegen hat das Deutsche Theater Göttingen den Komödienautor und Regisseur Philipp Löhle auf das Thema angesetzt. Der spielt mit seinem Stücktitel „Das deutsche Haus“ gleich auf das neurechte Heimatgeschwätz in Deutschland an – aber auch den Handlungsort des Stücks, eine fiktive Burschenschaftler-WG. Und nicht zuletzt auf den bildungsbürgerlich-liberalen Geist am Uraufführungsort Göttingen, wo Hunderte Universitäts-Immatrikulierte in mehr als 40 studentischen Verbindungen organisiert sind, und diese wiederum durch ihre Residenzen ziemlich präsent im Stadtbild. Gleich neben dem Theater prunkt auch massiv so eine Villa, es ist die der „Landsmannschaft Verdensia“.
Einige Korporierte sind Pfleger:innen christlicher Werte oder einfach Gelegenheiten nutzende berufliche Netzwerkeknüpfer:innen. Aber die Mitglieder des Dachverbands Deutscher Burschenschaften marschieren auch auf als Bewahrer eines historischen Habitus, vorgestriger Rituale und erzreaktionären Elitedenkens. Die AfD bezieht aus solchen streng hierarchisch strukturierten Bünden ihren Nachwuchs. Mehr als 50 Abgeordnete und 60 Mitarbeiter bundesweit kommen – laut Recherchen des ARD-Magazins „Report Mainz“ – aus einer solchen Grundausbildung.
Dazu nun, womöglich in Zusammenarbeit mit investigativen Journalisten, aufklärerische Fakten auf die Bühne zu holen, das liegt Löhle genauso fern, wie ein Gesellschaftsdrama über den Rechtsruck in Deutschland zu verfassen. Nein, er bleibt seinem Stil treu und entwickelt höchst amüsant eine dynamisch ins Groteske driftende Geschichte: Im Mittelpunkt steht Lukas Adler (Christoph Türkay). Der studiert „etwas Ordentliches“, nämlich Jura, was zusammen mit seinem Nachnamen die Aufmerksamkeit der Burschenschaftler auf sich zieht.
Anfangs erhebt sich Lukas, bepackt mit Ruck- und Schlafsack, aus dem Publikum und spricht es bittend devot an wie ein bedürftiger Obdachloser im öffentlichen Verkehrsmittel: Die Mietwucherpreise vor Ort kann er nicht zahlen und sucht daher eine günstige Unterkunft. Da bietet ihm Björn (Andrea Strube) im scheinbiederfreundlichen Höcke-Tonfall eine Bleibe für 150 Euro warm an, inklusive Terrasse, Balkon, Garten, Playstation, Netflix und so weiter. Nix wie hin – ins opulente Bühnenbild, das die Studentenherberge als Palast zeigt, mitsamt aus dem Zuschauersaal kopierten Lampen, Säulen, samtroten Vorhängen; plus Ornamentik, gülden und plüschig. Alles neu gemacht und daher in viel besserem Zustand als die Pendants im Theater, was auch genutzt wird: für die eine und andere Pointe zur abgesagten Sanierung des Hauses.
Erste Irritation im altmodisch-schönen Schein: Zu einsetzender Gruselmusik stolziert Mitbewohnerin Alice als bewaffnete Jägerin mit Waidmanns-Heil-Erfolgen durchs Bild. Später muss sie mit der Behauptung „Ich bin keine Frau“ ihren Status festigen; ein giftiger Gag gegen all die Weidels in rechten Männerbünden. Schon bläst Björn ins Horn zur Aufnahmeprüfung. Götz, selbsternannter „Vollschädel“ der Korporation, präsentiert sich als autoritäres Arschloch, das den „Knappen“ Tino demütigt. Alle singen zusammen von Vaterland, Mädels, härter werdenden Knaben und tirilieren „Zuversicht bestürmt die holde Eich’“.
Lukas sagt begeistert „Wow“, anstatt seinen Verstand anzuschmeißen. Outet sich brav als männlich, „biodeutsch“ und heterosexuell, auch Alkohol vertrage er. Also nehmen ihn alle gern in die „Gemeinschaft“ auf. Als Dank muss er fünf Maß Bier auf ex trinken. Was sich Szene für Szene fortsetzt, so dass Lukas fortan nur noch gehirnvernebelt lallen und exzessiv torkeln darf.
Schauspiel „Das deutsche Haus“. Wieder am 7. 2, 14. 2., 24. 2., 4. 3., 12. 3. und 30. 4., Göttingen, Deutsches Theater/DT 1
Das nervt nicht nur beim Zuschauen, sondern auch Freundin Pauline, die einzige Figur mit realistischem Blick auf die rechte Vereinnahmung eines Naiven. Aber Löhle will halt die ständige Besoffenheit als Zeichen für Gehirnwäsche stets präsent haben. In Zeitraffer- und Alptraummomenten spitzt er die Situation noch zu und lässt das Ensemble zu Gruselpuppen einer Geisterbahn mutieren. „Das deutsche Haus“ ist, temporeich wie ein B-Movie inszeniert, ein Horrorhaus.
Am Ende – Achtung, Spoiler! – erweisen sich alle Bewohner:innen als „scheiß Glatzen“: Unter ihren Perücken entblößen sie frisch angetackerte Schädelplatten. Jede:r hat Hirn und Wirbelsäule eines „Alten Herren“ eingepflanzt bekommen, um deren Nazi-Tradition fortzusetzen. Optisch schrill-schräg weicht das Stück so dem Thema aus: Die neue Rechte, das sind ja gerade keine Frankensteins aus Burschenschafts-Laboren, sondern erst mal Menschen mit den gleichen Hirnen wie du und ich. Spannend zu erkunden wäre, warum sie die ihren anders formatieren und nutzen, als du und ich.
Dazu hat Löhle aber nichts zu sagen, er spielt mit Witzfiguren, nicht entwickelten Personen. Was aber nie so richtig zum Ablachen ist, weil das Geschehen nicht nur lustig verhöhnen, sondern auch beklemmend sein soll, ganz wie in unserem Alltag. Das wiederum funktioniert: Es verstört zunehmend, wie überzeugend begeistert das Ensemble die rechten Ressentiments feiert, ins Terroristische abdriftet, auch den politischen Weg nicht aus den Augen verliert: „Die Demokratie gibt uns die Mittel an die Hand, um ihre eigene Abschaffung voranzutreiben.“
Löhle verdeutlicht die dabei genutzte Rhetorik: Anbiedernd nettes Wortgeplänkel wird emotional aufgeputscht, daraus werden rechtsnationale Brandsätze. Jede Zuschauer:in muss dazu eine Haltung finden. Besserwisserisch schmunzeln? Betroffen schweigen? Bei der Premiere ist zu den finalen „Klatscht!“-Befehlen der AfD-typischen Phrasendrescher nach etlichen Applausansätzen endlich ein „Nein!“ aus dem Publikum zu hören. Es folgt Stille. Dann Jubel fürs grellsatirische Muntermachen gegen rechts.
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