: Majestätisch in der Wildnis
Zurück zur großen Gefühlslandschaft: Parallel zur Mode- und Designszene propagiert auch die Schirn Kunsthalle Frankfurt mit ihrer „Wunschwelten“-Ausstellung eine „Neue Romantik in der Kunst“
VON HORTENSE PISANO
Künstler, „die sich an Ideen von ‚neuer Natur‘ oder ‚Natur in der Abstraktion‘ beteiligen, sollten zu einer Zeitstrafe harter Arbeit auf dem Feld verurteilt werden“, kritisierte spitzzüngig 1960 der Maler Ad Reinhardt seine Kollegen und jedes Aufweichen der abstrakten Bildidee. Seine „Kunst als Kunst“ verstand der Maler als Sit-in, ziviler Ungehorsam, gewaltloser Protest. Von Reinhardts Diktum ließ sich Gerhard Richter trotzdem nicht abhalten, 1969 neben grauen Farbtafeln auch atmosphärische Landschaften wie das „Seestück (Welle)“ festzuhalten. „Ein Bild von Caspar David Friedrich ist nicht vorbei“, begründete er sein Aufgreifen des romantischen Motivs Landschaft. Diese Ansicht teilt derzeit eine ganze Riege Nachwuchskünstler vor allem aus England, Amerika, aber auch aus Deutschland. Rund vierzig Jahre nachdem Reinhardt das Jewish Museum in New York einzig mit acht schwarzen Monochromen bespielte, kehrt die Landschaft als Ausdruck innerer Empfindung in den Ausstellungskontext zurück.
„Seismographen der Sehnsüchte“ stellt die Frankfurter Schirn in der Schau „Wunschwelten“ vor, darunter Stars der Malszene wie Peter Doig, Laura Owens und weniger bekannte Namen wie den 1974 in Paderborn geborenen Uwe Henneken. Woher kommt das gesteigerte Interesse am paradiesisch Schönen, Märchenhaften? „Ich erwarte von der Kunst keine Lösungen tagespolitischer Themen“, erklärte Schirn-Chef und Kurator Max Hollein kürzlich seine Auswahlkriterien. Übertragen auf die Ausstellung bedeutet das: statt globaler Gesellschaftskritik das Schöpfen aus der Trivialkultur wie etwa bei Uwe Henneken. Sein Bild „Burning Shadows of Silence“ zu Ausstellungsbeginn zeugt von einer bunten Farbigkeit, die sich vom hellen Blau ins mystische Violett steigert. Dort, wo sich am Himmel etwas zusammenbraut, schwebt auf einem Baumstrunk eine nackte Frau mit Schmetterlingsflügeln.
Mehr Pin-up als Fabelwesen stellt Henneken vor. Ästhetisch ist der junge Maler näher an den Postern hartgesottener Motorradfreaks als an den zarten Bildserien des Frühromantikers Philipp Otto Runge. Dessen Aurora, umringt von Engeln in „Der kleine Morgen“ (1808), wirkt gemessen am Konzept der Moderne zwar allzu schwülstig, doch wo Runges Verflechtung von Figur und Landschaft noch von der Suche nach einer neuen Bildallegorie motiviert war, recycelt Henneken lediglich die Sujets der Massenkultur. Muss der Malstrom einfach nur weitergehen – obwohl wie auf einem zweitem Bild Hennekens die Staffelei vorzugsweise leer von Inhalten bleibt?
In Anbindung an die Postmoderne formulieren die Künstler der „Wunschwelten“-Schau kein neues Programm. Laura Owens begnügt sich damit, das romantische Vokabular schablonenhaft durchzudeklinieren – Wald, röhrender Hirsch, Jagdhund, Schmetterling treffen in einem Bild auf einen exotischen Papagei. Ihre amerikanische Kollegin Karen Kilimnik scheut den Griff in die Kitschecke nicht: Tüll hingeworfen, Spiegel, ein Holzschwan und eine Seelandschaft tun sich in einer abgeteilten Nische auf. Welche Aussage trifft die „schlampig“ gemalte Kulisse von der Qualität eines Schultheaters, die lose arrangierten Ballettrequisiten? Bildet die Rückbesinnung auf die Romantik einen ästhetischen Gegenpol zur frühen Installationskunst, die mit verspiegelten Flächen auf die Effekte moderner Architektur anspielte?
Rigoroser bringt David Altmejd die Grenzen zwischen High und Low, populärem Kitsch und Abstraktion zum Einstürzen. Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer: Zwei Monsteraffen sind auf ein modernistisches Architekturmodell gestürzt, Spiegelklötze liegen durcheinander, Insekten in Form von glitzernden Schmuckstücken bemächtigen sich nun des ruinösen Baus. Auch Kaye Donachie arbeitet sich am Scheitern der Vorgängergeneration ab – diesmal steht die vergebliche Suche nach Spiritualität im Visier. Ein nacktes Paar, sektenartige Zirkel und Lagerfeuerromantik malt die junge Britin grob in Gelb und Grün. „Can’t find Nothin’ to Put my Heart and Soul Into“ lautet der songartige Titel ihres Bildes von 2004, das einen melancholischen Flötenspieler abseits der Gruppe darstellt. In das romantische Motiv lässt sich bekanntlich viel hineininterpretieren und so von Donachie eine Linie zur verklärten Naturmystik um 1800 ziehen. Der Style ihrer Figuren spricht für zeitnahe Bildvorlagen von Woodstock, über alternative Hippie-Kultur bis zum Yoga-Trend.
Am historischen Bildrepertoire Caspar David Friedrichs, an dessen erhabenen nordischen Landschaften geschult ist David Thorpe. In „We Are Majestic in the Wilderness“ lenkt er den Blick auf die Spitze eines Felsmassivs. Ein kreisförmiger Horizont betont das Plateau. Sonst wirkt der Scherenschnitt wie die Bilder Friedrichs leer geräumt. Anders als sein romantischer Vorgänger kommt der Brite (geboren 1972) meist ohne das Subjekt Mensch aus. Drei Wohnwagen als Reminiszenz an die mobilen Reisenationen hat Thorpe nahe an den Felsabgrund geparkt. Ohne diesen Ansatz von Kritik an der Spaßgesellschaft wäre der Rekurs auf die heroische Landschaft purer Eklektizismus.
Das Spiel mit der Illusion täuscht nicht darüber hinweg, dass die Werke in der Schirn sich mit einem ureigenen Prinzip von Kunst – dem Erhabenen und Schönen – beschäftigen. Galt dieses Stadium nicht längst schon als überwunden? „Wir entledigen uns des Ballastes der Erinnerung, der Assoziation, Nostalgie …“, proklamierte Barnett Newman in „The Sublime is Now“ 1948.
Die Sehnsucht nach dem Gefühl mag aus der Kunst nie ganz verschwunden sein und kehrt wie eine Welle alle paar Jahre wieder. Dass die Neue Romantik nur ein weiteres Trendlabel ablöst, dafür spricht auch Peter Doigs Beteiligung an der Bilderschau „Lieber Maler, male mir …“ 2003 in der Schirn, die damals im Untertitel „Radikaler Realismus nach Picabia“ hieß.
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