: Warme Umarmung, kalter Schauer
Sehnsucht, Wut, Herzschmerz: Die Punkband EA80 und ihr neues Album „Stecker“
Von Du Pham
Der Duden definiert Sehnsucht als „Krankheit des schmerzlichen Verlangens“, doch ist Sehnsucht zugleich eine der süßesten aller Bitterkeiten. Denn nur, wer um das Ziehen in der Brust, das Schwelgen in Vorstellungswelten weiß, kennt auch Hoffnung. Und dass eine gewisse Melancholie etwas Wohliges sein kann, lässt sich nicht verkennen: „Manchmal bin ich glücklich, traurig zu sein.“
Das beschreibt die Band EA80 schon 1990 in dem Song „Manchmal“, seither wird jede neue Single, jedes neue Album, jedes Konzert der Punkband aus Mönchengladbach sehnsüchtig erwartet. Überhaupt, Sehnsucht ist ein Gefühlszustand, der nicht selten in Verbindung mit den legendären Deutschpunkern verwendet wird. Nicht nur der Duktus ihrer Musik, auch das Mysteriöse der Band – sie geben kaum Interviews, machen grundsätzlich keine Promo – kommt vom Herzen.
Es sind einige Jahre vergangen, seit das Album „Definitv: Ja!“ (2017), als Nachfolge zu „Definitiv: Nein!“ (2011) – in der die Autorin eine versteckte Liebesbekundung an Oasis identifiziert – erschienen ist. In uneitler EA80-Wesensart ohne Trara und Tamtam taucht das Album im vergangenen Jahr am Merchandising-Tisch auf. Die Enttäuschung darüber, ein neues Album zu verpassen, weil eine limitierte Veröffentlichungspolitik vermutet wird – da die Konzerte sehr schnell ausverkauft sind und weil Verknappung anderweitig gern als Verkaufsinstrument missbraucht wird – kann aufgehoben werden: Ein neues Werk namens „Stecker“ erscheint offiziell am 24. Januar und weckt neben Sehnsüchten auch den immerwährenden Weltschmerz.
„Neue LP in weißem Vinyl 13 Lieder Punk.“ So die Langfassung des Pressetextes – und dann steht „Vergoldet“ zum Auftakt des Albums: „Jäh unterbrochen starten wir aufs Neue / starten wir Altes neu […] / In Aktionismus verfallen und nichts sehn außer uns selbst / So schlau sind wir, wir kennen uns aus“. EA80 unterstreicht hiermit, dass auf die Band Verlass ist: Der Sound in seiner Beständigkeit melodisch melancholisch, die Texte infantil lädiert. Aufs Wesentliche reduziert, ist der Zugang dennoch immer etwas sperrig – und die gequälte Tristesse stellenweise schwer zu ertragen. Dessen ungeachtet ist die Musik weder ausgetüftelt noch originell konstruiert – und will es auch gar nicht sein: EA80 klingen widerstandsfähig und langlebig. Sie machen sich nicht aus Marketingzwecken rar, sie sind einfach so, prunklos und narrensicher.
Diese Haltung belohnt die Fans von Deutschpunk, es gehört zum guten Kumpelton, zu erwähnen, wann man EA80 das erste Mal live gesehen hat, meistens prä-internet, als man(n) Bands noch entdecken musste. Und die Band existiert länger – siehe Bandname seit 1980 –, als die meisten von diesen Fans alt sind. EA80 sind immer noch prä-internet und das wird bewundert, kein Text kommt ohne den aktuellen Online-Tatbestand aus. Zudem lassen sich die wenigsten nehmen, den Gesang von Sänger Junge mit dem von Ian Curtis zu vergleichen. Was seltsam ist, denn der klingt wirklich seit „Zweihundertzwei“, also seit 1990, nicht mehr so.
Und vielleicht ist es genau diese Kontinuität, mit der EA80 einen reinen, verdichteten Punk fabriziert. Während Deutschpunkgroßwesire wie Jens Rachut oder Schorsch Kamerun irgendwann zur Hochkultur finden und vom Feuilleton besprochen werden, WIZO auf Dauer zu albern und Mutter zu artsyfartsy sind, bleibt EA80 unbeirrt dabei, geradlinige Songs zu komponieren. Nie mit bedeutungsschwangerer Attitüde, machen sie Musik, die aufweckt und einen Möglichkeitsraum zwischen Hoffnung und Missvergnügen modelliert.
Während „Vergoldet“ zum Abschluss unter allen Umständen bejahend opponiert – „ich liebe das Leben – die Zukunft so golden / Genieße das Leben […] ich traue dem Leben“ –, kommentiert „Abgrund“ diesen denkbar ansehnlich: „Beweg mich nicht vor und nicht zurück / Vorne der Abgrund, hinten kein Glück / Die Decke zu niedrig, der Fall zu tief“.
Junge, (Hals) Maul, Nico und Philipp haben „Stecker“ mit Denny Gabriel in fünf Tagen aufgenommen. Das Ergebnis: „No Future“-Songs ohne totgegähnte Plattitüden, introspektive Reflektionen ohne Ich-Empirie. Die Texte der 13 Songs lassen sich auseinandernehmen und willkürlich neu zusammensetzen. Sie agieren leise und bedacht miteinander und können entweder eine warme Umarmung oder ein kalter Schauer sein.
So wie sich Sehnsucht eben anfühlen kann: „Manchmal bin ich glücklich und traurig zugleich.“
EA80: „Stecker“ (Major Label/Broken Silence)
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