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96 Stunden Überwachung

Der Senat möchte zukünftig Videomaterial der BVG doppelt so lange wie bisher speichern. Rechtliche Fragen bleiben offen

von Raweel Nasir

Der Senat hält an seinem Vorhaben fest, das Videomaterial der BVG länger zu speichern als bisher. Das geht aus einer Antwort des Senats auf eine Anfrage des Abgeordneten Klaus Lederer (ehemals Linke) und Niklas Schraders hervor (Linke). Konkret soll die Speicherfrist von aktuell 48 auf 96 Stunden verlängert werden. Doch die Rechtsgrundlage dafür ist unklar, kritisieren die Abgeordneten.

Bei Straftaten und Unfällen sollen die Aufnahmen bei der Beweissicherung helfen. Obwohl die Speicherung und Auswertung der Aufnahmen strengen Datenschutzregeln unterliegt, äußert Klaus Lederer dennoch Zweifel: „Wir wissen, was im präventiven Bereich getan werden müsste. Wir wissen auch, dass die Polizei den Weg weitergehen muss, ihre Strategien und Strukturen mit Blick auf den Schutz queerer Menschen auszurichten“, sagt der ehemalige Kultursenator. Doch durch die Einführung allgemeiner Videoüberwachung seien Menschen nicht vor Gewalt geschützt.

Wirksamkeit unklar

„Bislang ist die Wirksamkeit und Effektivität der Videoüberwachung im ÖPNV nicht unabhängig evaluiert“, sagt Lederer. Über den entscheidenden Zusammenhang zwischen Anzeigeverhalten, dem Zeitpunkt der Anzeigen und realen Strafverfolgungsergebnissen einerseits und der Dauer der Speicherfrist andererseits scheine der Senat nichts Belastbares sagen zu können.

„Bislang ist die Wirksamkeit der Überwachung im ÖPNV nicht evaluiert“

Klaus Lederer, Abgeordneter

Aus der Anfrage ginge hervor, dass die sachliche Begründung des Senats für eine Verlängerung auf dünner Basis stehe. Da eine Verlängerung ein Eingriff in die Grundrechte darstellt, müsse diese gut legitimiert sein.

Derweil hofft der Senat, mit einer Kampagne die Verwertbarkeit der Aufnahmen zu erhöhen. „Dir bleiben nur 48 Stunden, schlaf keine Nacht darüber“ so lautet die Botschaft der Kampagne, welche sich gezielt an queere Menschen richtet. Der Senat finanziert diese mit Restmitteln aus dem vergangenen Haushaltsjahr.

Die Kampagne war eine Empfehlung des runden Tisches „Schutz vor queerfeindlicher Hasskriminalität“ als eine Maßnahme, das Sicherheitsgefühl von queeren Menschen zu stärken.

Mit der Kampagne soll auf das kurze Zeitfenster aufmerksam gemacht werden, da aus Erfahrung viele Menschen die Gewalt erst nach mehreren Tagen zur Anzeige bringen, heißt es in einer Anfrage, die der taz exklusiv vorliegt.

Wollen bald noch länger mitsehen: Kameras im ÖPNV Foto: imago

Lederer sieht die Kampagne als „Symbolpolitik“. Ihm scheint es, als ob der Senat mit den realen Ängsten von queeren Menschen bewusst spiele, um weitere Grundrechtseinschränkungen vorzunehmen.

Ein Beispiel, bei dem ein längeres Zeitfenster für die Si­cherung des Videomaterials auch sinnvoll sein kann, ist der Fall von Zefanias M. Er wurde Ende 2019 von Po­li­zei­­be­am­t:in­nen über neun Minuten lang in einer Kniefixierung auf dem U-Bahnhof Hermannstraße festgehalten.

Auf Hinweis eines Freundes, der bei der Polizei arbeitet, beantragte M. die Sicherung der Filmbänder bei der BVG, da er sonst keine Möglichkeit hätte, gerichtlich gegen die Po­li­zis­t:in­nen vorzugehen. Die Videobänder bilden einen zentralen Teil im Gerichtsprozess, den Zefanias M. gegen das Land Berlin eröffnet hat.

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