: Familientherapieim Altbau
Der Abschluss der Richard-Strauss-Trilogie an der Staatsoper Hamburg überzeugt nicht ganz: Regisseur Dmitri Tcherniakov braucht in seiner Neuinszenierung von „Ariadne auf Naxos“ einige Kunstgriffe, um seine Version des Stoffs zu erzählen. Spannend ist die Inszenierung dennoch
Von Dagmar Penzlin
Man merkt der Oper „Ariadne auf Naxos“ an, wie Richard Strauss und sein Textdichter Hugo von Hofmannsthal die Ursprungskonstruktion des Stücks auf Repertoire-Fähigkeit getrimmt haben. In der ersten Fassung von 1912 brauchte es noch ein Schauspiel- und ein Opernensemble, um die Kombination aus Molières „Der Bürger als Edelmann“ und dem eigentlichen Musiktheater-Part aufzuführen. In der heute gängigen zweiten Fassung ist alles durchkomponiert – das Vorspiel und die eigentliche Ariadne-Handlung mit den lustigen Einlagen der Komödianten rund um Zerbinetta. Nur die Rolle des Haushofmeisters braucht einen Schauspieler – hier ragt das Sprechtheater noch in den vielschichtigen Opernkosmos hinein.
In seiner Neuinszenierung von „Ariadne auf Naxos“ an der Staatsoper Hamburg setzt Dmitri Tcherniakov hier an. Er macht aus dem Haushofmeister Theseus. Diesen Namen trägt der vermögende Ehemann von Ariadne. Der Vorhang geht hoch, auf der Bühne feiert das Paar Silberhochzeit in seiner luxuriös ausgestatteten Wohnung: lilafarbene Wände, goldener Stuck und zentral ein extravaganter Kronleuchter (den Lampen im Foyer der Metropolitan Opera in New York nachempfunden). Schnell wird mit blauen Zetteln hantiert. Wolfram Koch als Theseus liest etwa die exaltierten Ausführungen des Haushofmeisters immer wieder ab. Theater auf dem Theater, das Hin- und Herspringen zwischen Wirklichkeit und Spiel im Spiel zieht sich durch die ganze Inszenierung. Es gibt also keine Trennung zwischen Vorspiel und Opernaufführung im Stück.
Theseus stirbt an einem Herzinfarkt – auch ein Einfall Tcherniakovs. Ariadne (ausdrucksstark, doch am Premierenabend mit Problemen in der hohen Lage: Anja Kampe) trauert um ihren toten Mann und nicht wie im Original, weil er sie verlassen hat. Das sind alles Eingriffe, Überschreibungen, die funktionieren. Ariadnes Todessehnsucht, ihr depressives Brüten – darauf reagiert jetzt nicht ein Club von Komödianten und Nymphen, sondern es sind besorgte Familienmitglieder, die mit lustigen Liedern und Späßen versuchen, die todtraurige Ariadne ins Leben zurückzulocken. Regisseurin des Aufmunterungstheaters ist Zerbinetta – laut Schaubild im Programmheft eine Cousine von Ariadne.
Ariadne auf Naxos: Mi, 5. 2., 19 Uhr; Sa, 8. 2., 19 Uhr; Do, 13. 2., 19 Uhr; So, 16. 2., 15 Uhr , Staatsoper Hamburg
Nadezhda Pavlova ist in dieser extrem anspruchsvollen, Koloratur-gespickten Partie das Kraftzentrum der Aufführung. Souverän surft sie durch virtuose Verzierungen. Sie ist eigentlich mit Bacchus liiert, animiert ihren Liebhaber jedoch, Ariadne zum Leben und zur Liebe zu bekehren. Schnell die blauen Zettel herausgekramt, Jackett und Schal von Theseus angelegt, und Bacchus (klangschön: Jamez McCorkle) versucht Ariadne zu bezirzen. Da hilft es auch nur bedingt, Theseus’Zigarre zu schmauchen, die Witwe drückt das Bild des Toten an sich. Plötzlich aber mischt sie sich unter die Verwandten und ist gut gelaunt. Duett-Singen als Musiktherapie?
Hier wirkt Tcherniakovs Inszenierung verkopft – auch auf die Bühne gebracht im Gegensatz zu dem, was die Musik erzählt. Das Liebesduett zwischen Bacchus und Ariadne läuft auf amouröser Ebene ins Leere. Vielleicht lässt Regisseur und Bühnenbildner Tcherniakov auch deshalb am Schluss noch mal die Drehbühne bedeutungsschwer rotieren. Der Ariadne-Clan blickt uns durchs Fenster an.
Wie im Kino gibt es einen Abspann. Hier liest das Publikum, dass die zweite Fassung der Strauss-Oper 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, ihre Uraufführung erlebt hat. „Außerhalb des gemütlichen Wohnzimmers“ stand die „Welt am Abgrund“. In der Kommunikation rund um die Premiere wird eine mögliche Parallele zu heute immer wieder thematisiert. Schade, dass dieser Abgrund nicht in der eigentlichen Inszenierung aufscheint.
So bleibt der Abschluss von Tcherniakovs Hamburger Strauss-Trilogie blasser als Teil 1, „Elektra“, und Teil 2, „Salome“, die beide ebenfalls in dieser Altbau-Wohnung angesiedelt sind. Der russische Regisseur und Bühnenbildner, der sich gleich von Anbeginn des Ukraine-Krieges gegen Putins Angriffskrieg positioniert hat, bleibt auch vor dem Hintergrund dieses unerträglichen Verstoßes gegen das Völkerrecht erstaunlich zaghaft, die von Hofmannsthal und Strauss so prickelnd aufgeladene Opernbubble zumindest etwas anzupiksen.
Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg spielte mitreißend, schwelgte in der facettenreichen Partitur, ohne das sehr überzeugende Gesangsensemble zu vergessen. Generalmusikdirektor Kent Nagano trug die Sänger:innen auf Händen und über manche Klippe. Alles in allem gibt es hier eine spannende Interpretation zu erleben, weil der Zugriff auf das Stück direkter, heutiger erfolgt. Bei allen Schwächen sind da auch Türen zu Neuland aufgesprungen.
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