: „Ich habe keine Kokosnüsse gegessen“
Florence Bourrell war 1982 auf Mururoa und befolgte die Sicherheitsanweisungen genau. Im Herbst hat die Krebskranke Klage eingereicht
PARIS taz ■ Insgesamt 150.000 FranzösInnen waren von Berufs wegen an den französischen Atomtests beteiligt. Darunter sowohl Militärangehörige wie auch ZivilistInnen. Wie viele von ihnen an den Folgen leiden, ist nirgends erfasst. Eine systematische medizinische Betreuung findet nicht statt. Auch die Ergebnisse von Untersuchungen, die französische Militärärzte auf den Testbasen im Pazifik durchführten, sind bis heute unter Verschluss.
Krebskranke FranzösInnen, die an Atomtests teilgenommen hatten, haben sich erstmals Ende der 90er Jahre zusammengeschlossen. Ermuntert von dem Vorbild amerikanischer Veteranen, die mit großem Erfolg Entschädigungen wegen des „Golfkriegssyndroms“ verlangten, gründeten sie „Aven“ – die Vereinigung der Veteranen der Atomtests. Heute gehören dem Verein knapp 3.000 Personen an. Unter anderem verlangt er ein Gesetz für die Opfer von Atomtests – wie es seit 1988 in den USA existiert. Danach sind 23 Krankheiten, die von radioaktiver Verstrahlung stammen können, als Berufskrankheiten anerkannt. Menschen, die während Atomtests auf einer Testbasis waren und später eine dieser Krankheiten entwickeln, haben in den USA automatisch Anspruch auf Entschädigung. In Frankreich nicht. Da es zwar einen möglichen, aber keinen zwingenden Zusammenhang zwischen einer Strahlenbelastung und einer Krebserkrankung gibt, ist es nur wenigen Einzelpersonen gelungen, erfolgreich auf Entschädigung zu klagen.
Florence Bourrel war 22, als sie 1982 für sechs Monate nach Mururoa ging. Sie arbeitete in einem Büro des Atomkommissariats CEA, bekam das Dreifache eines Pariser Sekretärinnengehalts und genoss die paradiesische Umgebung. Die Sicherheitsregeln hielt sie strikt ein: Nach dem Baden in der Lagune kurz abduschen. Kein Wasser aus der Lagune trinken. Keine von der Palme gefallenen Kokosnüsse essen. Um ihre Gesundheit machte Florence Bourrel sich keine Sorgen. „Das CEA versicherte uns, es gebe kein Risiko“, sagt sie heute.
Nach der Rückkehr aber stieg ihr Blutdruck, sie hatte mehrere Fehlgeburten und kämpft heute gegen einen Schilddrüsenkrebs. Auch eine Tochter, die sie zwei Jahre später zur Welt brachte, hat eine „strahlenbedingte Krankheit“. Bourrel hat Jahre gebraucht, bis sie auf die Idee kam, es könne einen Zusammenhang zwischen ihren gesundheitlichen Problemen und ihrer Arbeit für das CEA bestehen. Heute ist sie Mitglied von „Aven“ – und eine von elf AtomtestveteranInnen in Paris, die „gegen unbekannt“ klagen. Zwei Untersuchungsrichterinnen ermitteln seit September in dieser ersten Gruppenklage wegen französischer Atomtests. Der Anwalt von „Aven“, Jean-Paul Teissonnière, hofft, dass die Vorermittlungen bis zum Herbst abgeschlossen sind und es zu einem Strafverfahren kommt. Es wäre das erste Mal, dass einstige Beschäftigte die französischen Atomverantwortlichen und das Militär samt seiner Geheimnisse vor Gericht bringen. Florence Bourrel wünscht sich, „dass sie zugeben, dass sie uns als Versuchskaninchen behandelt haben“. DOROTHEA HAHN