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Archiv-Artikel

Sozialismus wird doch nicht abgeschafft

In Zeiten der Kapitalismuskritik modernisiert sich die SPD weniger, als noch vor kurzem geplant war

Von UWI
Teile der Programmdiskussion wirken wie eine Rechtfertigung für Schröders „Agenda 2010“

BERLIN taz ■ Beinahe wäre es im Trubel der Kapitalismusdiskussion untergegangen – Plattform für die so aufrührerischen Reden des SPD-Chefs Franz Müntefering waren die vier „Programmforen“ im Parteisitz der SPD, dem Willy-Brandt-Haus in Berlin-Kreuzberg. Hier wird schon seit Mai 2004 – ernsthaft erst seit September – an einem neuen Parteiprogramm der altehrwürdigen Sozialdemokratie gebastelt.

Das gegenwärtige, das siebte Parteiprogramm entstand im Wendejahr 1989. Eigentlich hatte dieses „Berliner Programm“ das wegweisende „Godesberger Programm“ von 1959 neu und strahlend ablösen sollen. Doch dazwischen kam die epochale Erschütterung des Mauerfalls, die bis zur Abstimmung des Programms am 20. Dezember 1989 nur in Ansätzen in den Text hineingewoben werden konnte. Kaum gültig, wirkte das Berliner Programm unwirklich, wie Produkte der Vor-1989-Ära es eben plötzlich waren.

Das nun kommende Programm soll auf dem Karlsruher Parteitag im November verabschiedet werden. Erstmals diskutiert die SPD über ihre Identität, während sie regiert und außerdem im Wahlkampf steckt – keine gute Ausgangsposition, wie die Parteilinken meinen, die die Debatte vor allem für sich nutzen wollen. Jedenfalls ist wenig Zeit für Selbstkritik. So wirken Teile der Programmdiskussion wie eine nachgetragene Rechtfertigung für die „Agenda 2010“ des Kanzlers. Gern wird der Begriff der „Teilhabe“ so umdefiniert, dass nur ein zufriedener 1-Euro-Jobber die sozialdemokratische Version von Teilhabegerechtigkeit zu erfüllen scheint.

Gleichzeitig sind nach den Agenda-Strapazen der Basis nicht auch noch große programmatische Änderungen zuzumuten. Ein Vorschlag wie ihn der damalige Generalsekretär Olaf Scholz 2003 machte, den „demokratischen Sozialismus“ doch einfach zu streichen, wäre heute unvorstellbar. So erklärt ein gestern verteilter Diskussionstext ganz offen: „Es ist nicht so sehr programmatischer Erneuerungsbedarf, vor dem die Sozialdemokratie auf dem Feld der Sozialpolitik steht“ – sondern „die soziale Lage der Menschen in Deutschland“ müsse neu bewertet werden. Anders gesagt: Unser Programm stimmt, aber was schreiben wir über die wachsende Armut, die wir seit 1998 mit verschulden? Die ersten Textentwürfe sollen im „Frühsommer“ stehen. UWI