: Eine richterliche Ohrfeige
CHILE Lesbische Mutter erhält nach acht Jahren das Sorgerecht für ihre Kinder zurück. Und schon steht das nächste Verfahren einer Religionslehrerin an
BUENOS AIRES taz | In Chile darf einer lesbischen Mutter wegen ihrer Homosexualität nicht das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen werden. Das entschied der Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte. Angerufen hatte ihn die Chilenin Karen Atala.
Die 48-Jährige nahm das Urteil bewegt, aber auch mit Genugtuung auf. „Damit ist die Autorität der Justiz für mich und meine Familien wiederhergestellt und die Rechtsprechung in sich zusammengefallen, die mir für Jahre das Sorgerecht für meine drei Töchter abgesprochen hat“, sagte Atala. Sie habe die Hoffnung, dass das Urteil künftig allen Eltern hilft, die wegen ihrer sexuellen Orientierung in ihren Rechten eingeschränkt werden.
Der Vater der damals fünf, sieben und neun Jahre alten Töchter hatte im Januar 2003 das alleinige Sorgerecht mit der Begründung eingeklagt, seine Frau sei lesbisch und das Zusammenleben mit einer anderen Frau füge den Kindern Schaden zu.
Atala, selbst Richterin, war 2004 in letzter Instanz vom Obersten Gerichtshof Chiles wegen ihrer Homosexualität das Sorgerecht für ihre drei Kinder entzogen worden. Die Begründung: Eine „normale und gesunde“ Erziehung der Minderjährigen sei bei der lesbischen Mutter nicht gewährleistet.
Dagegen urteilten die interamerikanischen Richter jetzt, dass nicht nur der Mutter, sondern auch den Kindern das Recht auf Gleichberechtigung abgesprochen worden sei, sie diskriminiert worden seien und ihr Recht auf die Privatsphäre verletzt worden sei. Als Entschädigung verhängten die Richter eine Geldstrafe in Höhe von umgerechnet 38.000 Euro.
Für den chilenischen Staat kam es jedoch noch dicker. Nicht nur, dass dieser innerhalb eines Jahres den Richterspruch öffentlich anerkennen muss. Er muss auch „innerhalb eines angemessenen Zeitraums ständige Bildungskurse und Ausbildungsprogramme einrichten, mit denen die öffentlichen Amtsträger geschult werden können“, darunter das juristische Personal.
Dem chilenischen Staat droht zudem bald die nächste richterliche Ohrfeige. Seit 2009 ist die Klage der chilenischen Lesbe Sandra Pavéz bei der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte anhängig. Der Religionslehrerin war von der katholischen Kirche das Unterrichten verboten worden. Auch hier hatte sich die chilenische Justiz bisher gegen die bekennende Lesbe ausgesprochen. Demnächst will die Kommission die Klage ihren Richtern vorlegen. JÜRGEN VOGT