: Die Hoffnung auf den Durchbruch in Gaza
Es gibt Fortschritte in den Verhandlungen zu einem Waffenstillstand im Gazastreifen. An einem Ende des Krieges aber sät Israels Regierungschef schon vorab Zweifel
Aus Jerusalem Felix Wellisch
Nach Monaten ohne einen Durchbruch kommt Bewegung in die Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas. Vertreter beider Seiten meldeten Fortschritte in den Gesprächen über einen Waffenstillstand und die Freilassung der noch immer im Gazastreifen gefangenen Geiseln, hieß es in Berichten der britischen BBC und des israelischen Senders Channel 12 am Samstag.
Anders als bei früheren Verhandlungsrunden ist bisher nur wenig Konkretes über deren Inhalt bekannt. Manche Beobachter sehen darin ein Zeichen, dass beide Seiten diesmal ernsthaft an einer Einigung interessiert sein könnten. Der grobe Fahrplan ist seit Monaten klar: In mehreren Stufen sollen die noch immer knapp 100 israelischen Geiseln freikommen, von denen laut israelischen Annahmen noch 62 am Leben sein könnten. Im Austausch sollen palästinensische Gefangene freikommen.
Offene Fragen gibt es laut Medienberichten weiterhin mit Blick auf die Präsenz israelischer Soldaten in den Philadelphi- und Netzarim-Korridoren sowie in einer Pufferzone entlang der israelischen Grenze. Die Hamas hatte lange auf einen vollständigen Abzug der israelischen Armee bestanden, zuletzt in diesen Punkten aber Verhandlungsbereitschaft gezeigt.
Israel soll seinerseits einer Freilassung von 200 Gefangenen mit lebenslänglichen Haftstrafen zugestimmt haben, berichtete die Tageszeitung Haaretz unter Berufung auf einen palästinensischen Vertreter am Sonntag. Verhandlungsbedarf besteht aber bei der Frage, wer in einer ersten Phase des Abkommens freikommen könnte: Israel soll laut eines Berichts des ägyptischen Senders Al-Ghad neben Kindern, kranken und alten Geiseln sowie fünf Soldatinnen auch die Freilassung von elf Männern in einer ersten Phase gefordert haben. Die Hamas verlange dafür Zugeständnisse bezüglich der im Gegenzug freizulassenden Palästinenser.
Die Gruppe befürchtet wohl zudem, dass das Abkommen den Krieg nicht beenden werde. Verteidigungsminister Israel Katz sagte zuletzt, sein Land werde in Gaza „die volle Sicherheitskontrolle“ behalten. Rechtsnationalistische Siedler in der Regierung haben zudem, ebenso wie Mitglieder von Netanjahus Likud-Partei, wiederholt eine Militärbesatzung des Gazastreifens gefordert. Ihr Ziel sprechen sie dabei offen aus: Eine jüdische Besiedlung. Netanjahu hat dem mehrfach widersprochen, doch die Forderung findet auch in der israelischen Bevölkerung Zuspruch: Laut einer Umfrage des israelischen Demokratieinstituts unterstützen rund 40 Prozent der jüdischen Israelis eine Besiedelung.
Den Vereinten Nationen zufolge wurden bis Ende November rund 70 Prozent der Gebäude in Gaza zerstört oder beschädigt. Wie bereits andere Hilfsorganisationen sprach Ärzte ohne Grenzen in einem Bericht Mitte Dezember von „klaren Anzeichen für eine ethnische Säuberung“.
Vieles spricht für eine Einigung: Die Hamas ist militärisch kaum noch handlungsfähig. Am Sonntag wurden nach Angaben des palästinensischen Zivilschutzes mindestens 28 Menschen bei mehreren Angriffen der israelischen Armee getötet. Doch die internationale Aufmerksamkeit zieht trotz des Leids im Gazastreifen weiter.
Auch für Israel gäbe es gute Gründe für eine Einigung. Nach mehreren militärischen Erfolgen gegen die iranische „Achse des Widerstands“ ist die Hamas in der Region weitgehend isoliert. Daran ändern auch die Angriffe der Huthis aus dem Jemen nichts, denen es in der vergangenen Woche zweimal gelungen ist, die israelische Raketenabwehr zu durchbrechen. Zudem drängt auch der künftige US-Präsident Donald Trump auf ein Abkommen bis zu seinem Amtsantritt am 20. Januar.
Doch Netanjahu ist auf seine rechtsextremen Koalitionspartner angewiesen, die sich entschieden gegen ein Ende des Krieges aussprechen, sich aber auf einen begrenzten Deal womöglich einlassen könnten. Die Hoffnung der Verhandler ist, dass durch mehrere Wochen Waffenruhe und die Aussicht auf die Rückkehr aller Geiseln der Widerstand gegen eine Wiederaufnahme des Krieges zu groß wird.
In einem am Freitag veröffentlichten Interview im Wall Street Journal hatte Netanjahu dieser Hoffnung bereits einen Dämpfer versetzt. „Wir werden die Hamas in Gaza nicht an der Macht lassen“, sagte er.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen