: Doppelte Moral
Nicht gegendarstellungsfähig (IV): Eisenbergs juristische Betrachtungen. Heute: Deutschtürken und das Wahlrecht
Post bekamen in der vergangenen Woche Deutsche türkischer Provenienz von den NRW-Behörden: Sie wurden gefragt, ob sie nach ihrer Einbürgerung eine weitere Staatsangehörigkeit angenommen haben. Denn mit der deutschen Staatsangehörigkeit würde damit auch automatisch das aktive Wahlrecht erlöschen.
Die rot-grüne Bundesregierung hat diese Verschärfung eingeführt und damit die Betroffenen nicht nur der Einbürgerung, sondern auch eines sicheren Aufenthaltsstatus und – eben – ihres Wahlrechtes beraubt.
Reiche Deutsche mit Steuerfluchtwohnsitzen und -staatsangehörigkeiten sind nicht angeschrieben worden, obschon auch sie mit dem Verlustes des Wahlrechts rechnen müssten. Den Verdacht, dass Rassismus gegen deutsche Türken das Motiv für die Briefaktion sein könnte, weist der NRW-Innenminister zurück. Er begründet die Aktion mit einem Bericht der türkischen Regierung, wonach sich 50.000 Deutschtürken um Wiedereinbürgerung in der Türkei bemüht haben.
Jedenfalls sind die Deutsch-Türken leicht zu finden: Die Ausländerbehörden müssen die Akten der ehemaligen Ausländer fünf Jahre nach der Einbürgerung aufheben.
Auch die Spätaussiedler wären ohne Weiteres in diesen Akten zu finden. Und in der einschlägigen Publizistik finden sich verstärkte Erörterungen darüber, dass immer mehr deutschstämmige Juden in Israel den Verlust ihrer Doppelstaatsbürgerschaft fürchten. Diese Personengruppen aber finden sich nicht im Fokus der CDU, die vor allem gegen die doppelte Staatsbürgerschaft jener Bevölkerungsgruppen hetzt, von denen sie sich keine Stimmen erwartet. Also doch Rassismus? Oder wahltaktisches Kalkül?
Die Sonderbehandlung hat jedenfalls einen weiteren Effekt: Die angeschriebenen Deutschtürken mit erneut erworbenem türkischem Paß begehen, wenn sie dennoch wählen gehen, eine vorsätzliche Straftat, da sie ja per Post über den Verlust ihres Wahlrechts informiert worden sind.
Ganz im Gegensatz zu den Spätaussiedlern, Deutsch-Israelis oder deutschen Steuerflüchtlingen mit Auslandsimmobilien. Die werden sich, wenn sie auffliegen sollten, einfach und zu Recht damit herausreden können, von der skurrilen Regelung nichts gewusst zu haben.
JONY EISENBERG ist Strafverteidiger und Presseanwalt in Berlin