piwik no script img

Die Regression schreitet voran

Rückbildung zum Homo stupidus. An einer neuen Akademie in Oberhausen ist das endlich möglich

Die große Aufgabe ist, das Hirn ganz kleinzukriegen Foto: imago

Von Frank Lorentz

„Ich komme zum Ende meiner Rede. Wo war ich? Ach ja. Wisst ihr, wer hier heute Abend für euch kocht?“, ruft Jasmin Puderbach mit vor Freude bebender Stimme ins Mikro. Sie steht auf der Bühne des Festsaals, schaut ins Publikum. Dreihundert Leute, die Hütte ist voll. „Es sind die Spitzenköche Leon Kapski und Vincent van Kroot, berühmt für ihren Tiktok-Account … na, dings … Gott, bin ich blöd, mir fällt der Name nicht ein.“

Aus dem Publikum ruft ein Mann: „Zum Scheißen reicht’s“. – „Richtig, danke!“, kreischt Puderbach und kneift die Augen zusammen. Ein Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus. „Wisst ihr“, sagt sie, „wer das gerade gewusst hat? Holmfried von Brink, frisch gebackener Ex-Professor für Philosophie. Einer unserer ersten Absolventen. Früher konnte er die erste Meditation von Descartes im Schlaf aufsagen. Heute steht er auf ‚Zum Scheißen reicht’sss‘. Applaus für Holmfried!“

Die „Hochschule für Dequalifizierung“ (HFD), gelegen inmitten des Oberhausener Konsumtempels „Westfield Centro“, hat zur Gala eingeladen. Gefeiert wird der erste Abschlussjahrgang der vor drei Jahren gegründeten Akademie, an der man sich Studium und akademischen Grad binnen sechs Semestern offiziell und rückstandsfrei aberkennen lassen kann. Im Laufe der Dequalifizierung, so verspricht die HFD, gehen die Fähigkeit zu komplexem Denken und reflektiertem Handeln sowie jeglicher bildungsbürgerliche Ballast über den Jordan.

Der Vorgang funktioniert ohne Drogen, Elektroschocks oder Gehirnamputation. Studienschwerpunkte sind Reality-TV-Konsum, Powershopping (Studienjahr eins und zwei) und Dauershopping (drittes Jahr). Nach anfänglicher Gehirnerweichung tritt – etwa ab dem fünften Semester, bei manchen früher – eine Gehirnverhärtung ein. Woraufhin sich – Masterclass – ein Betonkopf ausbildet. Irreversibel.

Laut Jasmin Puderbach, Gründungsrektorin, ist die Nachfrage nach Dequalifizierungsangeboten „überwältigend. Die Wahl von Donald Dings zum CEO der USA war das größte Geschenk. Seitdem explodieren die Anmeldezahlen.“ Immer mehr Intellektuelle, Medienschaffende, Kreativkoryphäen und sonstige Berufsdurchblicker ertrügen es nicht mehr, den grassierenden Irrsinn in allen Facetten zu erfassen, aber nicht ändern zu können. „Sie wollen nicht mehr realisieren müssen, dass bösartige alte Männer die Welt im Schwitzkasten halten und mit allem durchkommen, egal wie irre es ist“, berichtet Puderbach kurz vor der Gala.

Ihr zufolge wünschen „Heerscharen von gebildeten Menschen“ nichts sehnlicher, als sich runterzuqualifizieren zum Homo stupidus und endlich wieder unbekümmert Spaß am Leben zu haben. „Dummseinwollen ist der ultimative Akt des Klugseins“, predigt sie. „Schlau zu sein gilt bereits in weiten Kreisen als Handicap. Dumm und rücksichtslos zu sein erleichtert vieles. Man leidet dann nicht mehr an seinem Wissen. Es ebnet den Weg zur Macht. Mental Downsizing ist ein Gebot der, dings, Vernunft.“

Und darum heißt es an der HFD: Konsumieren geht über Studieren. Die Zukunft der Bildung ist die Rückbildung. „Mehr shoppen und glotzen, weniger denken“, trompetet die Rektorin. „Tut auch der Wirtschaft gut, wenn die Leute das Denken einstellen. Das schafft sowieso mehr Probleme, als es löst. Drei Jahre bei uns, und Sie können Bushido nicht mehr von Shiseido unterscheiden, halten eine kaufmännische Lehre für eine Ausbildung im Shoppen und das Wort Basilika für den Plural von Basilikum.“

FAZ-Leitartikler Ingo Schotte erhebt sich gewichtig aus einem 11.000-Euro-Poltronova-Sessel und fragt mit investigativer Stimme, was an dem Gerücht dran sei, Elon Musk würde die HFD mit zig Millionen sponsern. „Nichts“, entgegnet Puderbach. „Ich möchte das Gerücht hiermit entkräften. So, entkräftet. Noch Fragen?“ – „Ja“, sagt Nancy Daniels, Korrespondentin der New York Times. „Wo kann ich mich anmelden?“

Im Festsaal, als die Reden gehalten und Rückbildungsdiplome überreicht sind, richten sich alle Augen auf die Bühnenwand. Eine Live-Schalte – das Finale der Shopping-Weltmeisterschaft auf der Frankfurter Zeil. Als die Jury Michaela Bott zur Siegerin kürt, bricht im Saal frenetischer Jubel aus. Bott studiert im dritten Jahr an der HFD. Einst war sie preisgekrönte Dichterin und sezierte die Conditio humana in Sonetten. Jetzt versteht sie es meisterhaft, Schnäppchen einzutüten.

Kurz darauf öffnet sich eine Doppeltür, und Leon Kapski und Vincent van Kroot schreiten wie Gladiatoren herein, gefolgt von Servicekräften, die Tabletts tragen, auf denen sich Tellerchen mit blassem Brei befinden. Er erinnert an Babynahrung und schmeckt, da ist man sich einig, wie noch nie etwas geschmeckt hat. Alle sind ganz aus dem Häuschen, dass sie das erleben dürfen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen