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Alle Leichen nach Münster

Nach Lauterbachs abgenickter Krankenhausreform: Jetzt geht es den Fernsehkliniken an den Kragen

Patient halbtot, aber die Sachsenklinik lebt immer noch Foto: ap

Von Jürgen Kiontke

Bekanntlich lässt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kein gutes Haar am deutschen Klinikwesen – zu groß, zu lahm, zu teuer. Jetzt darf trotz Ampel-Aus seine Mega-Reform kommen: Hunderte Krankenhäuser werden ihre Leistungen erweitern, einschränken, mit anderen Einrichtungen fusionieren oder den Laden ganz dichtmachen. Zu groß, zu lahm, zu teuer, dieser Vorwurf trifft genauso ins Herz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Und siehe da – auch hier will Noch-Gesundheitsminister Lauterbach die Axt anlegen. So sieht der gelernte Gesundheitsökonom besonders bei Fernsehkliniken reichlich Einsparpotenzial. Und der hohe Rundfunkbeitrag ist ja schon lange ein Dorn mindestens im zweiten Auge vieler Zuschauer.

Was jeder und jede weiß: Die zahlreichen Krimi-Sendungen und Soaps betreiben je ihre eigenen Krankenhäuser. Nach Effizienz oder Kosten hat da noch niemand gefragt. Serien wie „Notruf Hafenkante“ in Hamburg und „Rote Rosen“ in Lüneburg etwa unterhalten zwei komplett getrennte Krankenhäuser – dabei liegen hier Synergieeffekte auf der Hand. Denn die beiden Städte liegen gerade einmal 30 Minuten mit der Bahn auseinander – wenn letztere fährt.

Für die Innenaufnahmen in Hamburgs Elbkrankenhaus (EKH) dient eine umgebaute Lagerhalle im Gewerbegebiet Lademannbogen in Hamburg-Hummelsbüttel, als Drehort für die TV-Klinik von Frau Dr. Britta Berger dient das Hospital am Graal in Lüneburg. Aber: wozu eine Lagerhalle mieten, wenn es auch live geht?

Etwas weiter weg in der Ex-DDR liegt die Sachsenklinik. Sie ist das fiktive Leipziger Krankenhaus, in dem sich „Die jungen Ärzte“ tummeln. Für den Drehort der Serie „In aller Freundschaft“ wird extra ein Studio in der Media City Leipzig angemietet. Aber ist das wirklich nötig?

Nun ist die Entfernung Leipzig – Hamburg eine andere als von Ham- nach Lüneburg. Für den allzeit reformwilligen Minister Lauterbach aber ist das kein Problem. Seine Lösung: Digitalisierung der Serien!

„Unser System“, argumentiert der Gesundheitsapostel, „ist steigerungsfähig. Fachärzte könnten schon heute effizienter arbeiten, wenn die Digitalisierung früher erfolgt wäre.“ TV-Diagnosen könnten per Facetime und Teams gestellt, Fernsehbefunde per E-Mail und Whatsapp verschickt werden. Lauterbach sieht da keine rechtlichen Hürden: „Die haben bereits sehr gute Datenschutzerklärungen.“ Daraus ergäben sich „auch viele Möglichkeiten für die digitale Verarbeitung und serielle Vermarktung, äh, Analyse der Patientendaten“.

Noch leichter wird es in der Gerichtsmedizin gehen. Bei der Reihe „Tatort“ zum Beispiel, die traditionell in verschiedenen Bundesländern Deutschlands spielt, ließen sich schnell Synergieeffekte erzielen. So könnte man die Leichen schlicht alle nach Münster zum prominentesten Vertreter seiner Art, Prof. Dr. Boerne, schicken. Dessen Selbst-Darsteller Jan Josef Liefers ist über jede Sendeminute froh. Überschüssiges Personal wie Joseph Roth vom „Tatort Köln“ könnte man kostensparend in die nächstbeste Gerichtssendung verkaufen.

Erfahrung mit Klinikschließungen haben die Öffentlich-Rechtlichen: Bereits 1989 schloss die beliebte Schwarzwaldklinik. Für das Personal ergaben sich schnell neue Möglichkeiten. Sascha Hehn, in der Serie Oberarzt Dr. Udo Brinkmann, wechselte nach dem Klinik-Aus zu seiner eigenen Sendung. Als „Frauenarzt Dr. Markus Merthin“ heilte er weiter.

Doch nicht alle sind happy mit der jetzt von Lauterbach geplanten Reform der TV-Kliniken. Die Ärztin Jasmin Jonas vom Hamburger Elbkrankenhaus zum Beispiel: „TV-Patient*innen werden künftig längere Wege bis zum nächsten zuständigen Krankenhaus in Kauf nehmen müssen. Ob dadurch die Behandlung besser wird, ist fraglich.“ Das Fernsehpublikum werde zudem nicht jünger, da steige der kostspielige Behandlungsbedarf eher, als dass er abnehme.

Auch aus der Politik gibt es Gegenwind. Kritiker wie Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) machen sich über die Finanzen Sorgen, denn entgegen landläufiger Meinungen koste Rationalisierung erst mal. „Für die Reform soll ein Transformationsfonds mit einem Gesamtvolumen von 50 Milliarden Euro über zehn Jahre aufgebaut werden. Das wird zwangsläufig zu einer Erhöhung der Rundfunkgebühren führen, die jetzt schon absurd hoch sind. Dem werde ich auf keinen Fall zustimmen.“

ARD-Intendant Kai Gniffke sieht hingegen keine Alternative zu den Reformplänen. „Das öffentlich-rechtliche TV-Gesundheitswesen bildet eine tragende Säule in der Fernseh-Daseinsfürsorge.“

Andere Töne schlägt CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn an. Sein Zauberwort: Privatisierung. „Wir verfügen über eine Reihe sehr guter privater TV-Kliniken, die kosten- beziehungsweise profitdeckend arbeiten.“ Spahn kann sich gut vorstellen, ganze Krankenhausserien ans Privatfernsehen zu verkaufen. „Das wäre auch eine Maßnahme gegen die ausufernden Kosten der Krankenkassen.“ Der Ex-Minister weiter: „Beim Privatfernsehen sind die TV-Patienten natürlich privatversichert. Das würde ordentlich Gelder in die maroden Kassen der TV-Krankenhauskonzerne spülen.“

Aus der Politik gibt es Gegenwind wegen der notwendigen Erhöhung der Gebühren

In den Privatfernsehkrankenhäusern ist man über die Pläne aber nicht ganz so begeistert. Lilly Seefeld vom Jeremias-Krankenhaus in der Serie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ (GZSZ) weiß als Oberärztin zu berichten, dass sie und ihre Kollegen jetzt schon viel zu viele Patienten hätten – „und jetzt sollen die Öffi-Kranken noch dazukommen? Wir wissen doch so schon nicht mehr ein noch aus.“

Im Privatfernsehhospital müssten sie den Zuschauern mehr bieten als in den ruhigeren Öffentlich-Rechtlichen, mit derem älteren, leicht zu erschreckenden Publikum. Seefeld: „Bei uns gibt es die fieseren Schlägereien, die schlimmeren Krankheiten, die krasseren Notfälle.“ ARD- und ZDF-Ärzte würden daran gar nichts ändern – „die haben ganz andere Arbeitszeiten, TV steht bei denen für Tarifvertrag.“

Medizinerin Seefeld leidet derzeit besonders „unter den unhaltbaren Zuständen“ in der Serie: „Die ‚GZSZ‘-Autoren hatten den tollen Einfall, meinen ‚Vater‘ als Schönheitschirurgen einzustellen!“ Die Klinik muss schließlich, anders als eine ARD-Klinik, ihr Geld selbst verdienen. Ihr Serienvater Lars Brunner bekam die Stelle schnell, doch der smarte Arzt hat ein lockeres Verhältnis zum Geld: Um aus seinen Schulden herauszukommen, verpasst er gesuchten Schwerkriminellen eine neue Visage.

Ob die Privatisierung öffentlich-rechtlicher Fernsehkliniken also wirklich ein Rezept gegen den Kliniknotstand ist? Wir bleiben dran – auch an Karl Lauterbach.

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