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Auslösende Momente

Er fotografierte für inzwischen verschwundene Unternehmen und ganz auf eigene Faust, meidet das Spektakuläre und will bis heute zum genaueren Sehen ermuntern: Eine Doppelausstellung in Braunschweig würdigt Uwe Brodmann

Eigentlich ging es um die Wahlplakate. Eingefangen ist auf der Serie von 1976 aber auch das bröckelnde Braunschweigische: „Wäscherei Freitag“ Foto: Uwe Brodmann

Von Bettina Maria Brosowsky

Seit mehr als 50 Jahren arbeitet der im Braunschweigischen lebende Fotograf Uwe Brodmann in seinem Metier, regional wie weltweit. So entstand ein, nun, Lebenswerk, das seinesgleichen sucht. Denn Brodmann ist in vielen Gattungen souverän zu Hause: der Industrie-und Architekturfotografie, dem Landschaftsbild wie dem Porträt; mit dem optisch geweiteten Pano­rama hat er ein eigenes Markenzeichen geschaffen. Die Übersetzung der wahrnehmbaren Welt ins klassische Schwarz-Weiß beherrscht er genauso wie den Umgang mit Farbe, analog und digital.

Dem Dokumentarischen verpflichtet, will er zum Betrachten auffordern, zum genaueren Sehen. Er platziert subtile Botschaften in seine Fotografien, mitunter leicht skurril, humorvoll oder aus ungewohnten Perspektiven. Seine Bilder von Menschen sind getragen von einem ehrlichen Interesse, ohne voyeuristischen Drang zum Spektakulären. Brodmanns Motive erschließen sich nicht im schnellen, flüchtigen Blick, sie sind aber auch keine bewusst konzeptionell ver­queren Kompositionen.

Geboren in Hohne bei Celle, begann Uwe Brodmann 1961 eine Lehre als Reproduktionsfotograf bei der – heute lange verblichenen – grafischen Kunstanstalt Köhler und Lippmann in Braunschweig. Dort durfte er experimentieren, so auch 1967 für seine Bewerbung beim Braunschweiger LKW-Hersteller Büssing: In grafischer Strich­umwandlung, in Schwarz-Weiß ohne Grauwerte, demonstrierte Brodmann die offensichtliche Leitungsfähigkeit eines LKW auf leicht verschneiter Hügelkuppe – wenn auch mit einem Fabrikat der Konkurrenz.

Er blieb zwei Jahre in der Werbeabteilung des Traditionsunternehmens, das 1971 im Nutzfahrzeugkonzern MAN aufging. Da war Brodmann schon lange bei der Miag, kurz für „Mühlenbau und Industrie Aktiengesellschaft“, noch so ein Braunschweiger Traditionsunternehmen, das weltweit Getreidemühlen, Silos und Hafenanlagen lieferte. Es leistete sich eine eigene Dokumentations- und Werbeabteilung, Brodmann fotografierte dafür 20 Jahre lang in fast allen Teilen der Erde. Auch die Miag existiert nicht mehr in alter Form, in Brodmanns frühe professionelle Jahre fällt neben industriellem Strukturwandel auch der Niedergang der Dokumentarfotografie als Bestandteil unternehmerischen Selbstverständnisses.

Die „B-Seite“ Braunschweigs interessiert Brodmann bis heute, Burglöwe und Dom finden sich eher nicht in seinen Archiven

Seit 1989, also auch schon wieder seit 35 Jahren, arbeitet Brodmann freiberuflich an Aufträgen und selbstinitiierten Themen. Eine Retrospektive in zwei Braunschweiger Museen würdigt nun den Fotografen, schwerpunktmäßig mit seinen freien Arbeiten. Die betrieb er aber auch schon während seiner Anstellungen, etwa auf Reisen, erhielt dafür auch Preise und stellte aus. Gegliedert in neun Kapitel, neun metaphorische „Auslöser“, zeigt die Ausstellung über 200 Fotografien von den späten 1960er-Jahren bis hin zu aktuellen Experimenten mit Pflanzen und Fundstücken aus der Natur. Dazu liefert ein Katalog Einordnung, Biografisches und Hintergründiges.

Einige frühe Arbeiten berühren besonders. Da wäre die Porträtreihe von Fritze Schwalm, schlesischer Kriegsflüchtling und in Brodmanns Lehrbetrieb für die Heizung zuständig, ging in ausrangierter Garderobe ärmlich, aber stilvoll gewandet gewissenhaft seiner subalternen Tätigkeit nach. Brodmann verlieh ihm per Mittelformatfotos in Schwarz-Weiß eine stille Würde, die an den großen Sozialdokumentaristen August Sander anzuknüpfen scheint.

Dem Dokumentarischen verpflichtet: Kriegs­veteranen am D-Day (2009) Foto: Uwe Brodmann

Oder der ungeschönte Blick auf erbärmliche, abgängige Bausubstanz im Braunschweigischen, selbst wenn eine Reihe 1976 eigentlich den Plakaten zur Bundestagswahl galt. Oder die aufgelassenen Wilke-Werke vor ihrem Abriss: Diese „B-Seite“ Braunschweigs interessiert Brodmann bis heute, Burglöwe und Dom finden sich eher nicht in seinen Bildarchiven.

Nun sind große Retrospektiven so eine Sache, besonders, wenn es, wie in Braunschweig, an geeigneten Räumen mangelt. Die beiden Ausstellungsteile auf insgesamt drei Etagen im Landesmuseum und dem abgelegenen Archivflügel des städtischen Museums enttäuschen ob ihrer Räumlichkeiten mehr, als dass sie geglückte Präsentationen böten. Wäre nicht eine konzentrierte Ausstellung in den Torhäusern des Museums für Photographie eine wertschätzende Würdigung gewesen, gerade im 40. und also Jubiläumsjahr des Hauses selbst? Immerhin zählte Uwe Brodmann 1984 zur Handvoll Entschlossener, ohne die es diese Institution heute nicht gäbe.

Ausstellung „Auslöser. Brodmann im Braunschweigischen“ im Landesmuseum Hinter Aegidien; „Auslöser. Brodmann weltweit“ im Städtischen Museum Braunschweig; bis 16. 2. 25

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