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Archiv-Artikel

ausgehen und rumstehen Blitzen, hacken: Walzer auf Japanisch

Zwanzig Minuten nach Mitternacht betrat Aaron Spectre die Bühne des NBI in der leblos sanierten Kulturbrauerei. Ich hatte schon drei Biere getrunken und glaubte langsam so etwas wie Atmosphäre in dem Club aufkommen zu spüren. Der Künstler kam aus Übersee und produzierte feine elektronische Klänge, indem er wild hin und her sprang, an Billionen kleinen Knöpfchen drehte und in einem Affentempo auf dem Hackbrett spielte.

Eine japanische Fotografin im weißen Minikleidchen schritt derweil mit fernöstlicher Ruhe vor der Bühne auf und ab. Ihr Füße steckten in hochhackigen goldenen Sandalen, die wie verrückt blitzten und funkelten. Ein Blick auf das Publikum offenbarte, dass jede ihrer Bewegungen mit großer Spannung verfolgt wurde.

Als sich die Japanerin für ein Motiv entschieden hatte, blieb sie stehen und stellte in gezielter Pose ihr linkes Bein auf das Bühnenpodest. Ganz sachte und sicher. Das Publikum starrte gebannt auf die schlanke Fessel in der goldenen Sandale. Die Fotografin richtete nach ein paar Kunstsekunden mit graziös ausgestreckten Armen ihre Kamera auf den Musiker. Sie brauchte nicht lange, um das richtige Bild zu finden. Reglos, als wären sie mitten im Nichts eingerastet, verharrten ihre Hände in der Luft. Der restliche Körper wog sich biegsam wie ein Bambus nach vorne und wieder zurück, nach rechts und nach links, bis sich sein Gewicht optimal in die Mitte verlagert hatte. Die Japanerin konnte jetzt den Auslöser bedienen. Ein Blitz und zack, Foto fertig. Sie strahlte übers ganze Gesicht, entspannte sich, wiederholte die Performance exakt seitenverkehrt und überraschte mit immer neuen Haltungen.

Dann war Ulrich Schnauss, der andere Musiker, dran. Mit weit ausgespannten Händen hämmerte er zielsicher in der Dunkelheit auf den Tasten seines Synthesizers herum und verbreitete rauschende Entzückung. Auf der Leinwand hinter ihm tobte ein pompöses Visualfeuerwerk. Die Japanerin erschien ohne Fotoapparat auf dem leeren Fleck vor der Bühne und forderte einen Gast zum Walzertanz auf. Ausladend wiegten sie sich im nicht vorhandenen Takt, sodass die Konzertbesucher aus der ersten Reihe wie beim Pogo zurückweichen mussten.

Sie tanzten sich in Rage, der Künstler fuhr in zunehmender Ekstase mit dem Ellenbogen die Tastatur des Synthies rauf und runter, auf der Leinwand segelte eine Butterblume ohne Stängel über dunklen Grund, der Lärm war ohrenbetäubend und dann war’s plötzlich vorbei.

KATHARINA HEIN