Das Ende des Merkelismus

Am 10. Oktober 2013 scheidet Bundeskanzlerin Angela Merkel aus dem Amt. Bilanz einer Regierungsära

Der Wahlsieg der Christlich Demokratischen Union (CDU), geführt von Angela Merkel, im Jahre 2005 war eine Konsequenz des Scheiterns der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) nach sieben Jahren an der Regierung. Während die SPD mit immer neuen Programmen (Agenda 2010, Hartz IV) den wirtschaftlichen und sozialen Niedergang der Bundesrepublik Deutschland eingeleitet hatte, gelang es der CDU selbst durch massive Unterstützung deutscher Unternehmen und durch verbesserte Rahmenbedingungen der Weltwirtschaft nicht, eine Umkehr herbeizuführen. Bundeskanzlerin Angela Merkel sah es dabei nicht als ihre Aufgabe an, die gesellschaftlichen Gegensätze aufzuheben. In ihrer ersten Amtszeit vertraute sie auf die Geldpolitik und deren Lenkungswirkung, auf die Volkswirtschaft und eine Politik der Inflationsbekämpfung zur Sicherung möglichst optimaler Ergebnisse marktwirtschaftlicher Prozesse.

Angela Merkel setzte sich offensiv mit der Macht der Gewerkschaften auseinander und schränkte diese durch eine umfassende Gesetzgebung drastisch ein. Die Niederlage der Stahlarbeiter an Rhein und Ruhr im erbittert geführten Streik des Jahre 2007 war zugleich Höhe- und Schlusspunkt des politisch motivierten Protestes der Gewerkschaften gegen die konservative Regierung, als dessen Speerspitze sich die IG Metall verstand. Diese Niederlage stellt deshalb auch das symbolische Ende der politischen Macht der deutschen Gewerkschaften dar.

In den Regierungsjahren Angela Merkels wurde die Bundesrepublik durch eine umfassende Privatisierungspolitik zu einer fast ausschließlich privatwirtschaftlich organisierten Marktwirtschaft umgebaut. Maßstab in der Sozialpolitik war nicht länger der Bedarf an Leistungen, sondern deren Finanzierbarkeit. Arbeitslosigkeit wurde nicht mehr als gesellschaftliches Problem, sondern als individuelles Schicksal verstanden. Die Verantwortung für die Suche nach Beschäftigung hatten nun in erster Linie die Betroffenen. Ein soziales Netz, das Arbeitsunwillige und Arbeitssuchende in gleicher Weise auffing, sollte nicht mehr aufrechterhalten werden. Merkel und die CDU führten damit konsequent die von ihrem Vorgänger Gerhard Schröder und der SPD eingeleiteten Sozialumbau der Gesellschaft fort.

Begleiterscheinungen wie größere Armut, Obdachlosigkeit, die wachsende Ungleichheit in der Verteilung gesellschaftlichen Reichtums oder die Unzufriedenheit in denjenigen Regionen des Landes, die der Wirtschaftsboom Ende des ersten Jahrzehnts nicht erfasste, wurden von der Regierung Merkel als unvermeidlich hingenommen. Die Sparpolitik der Regierung Merkel wurde auch mit der Notwendigkeit begründet, den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen und die Inflation zu bekämpfen, die aus Regierungssicht in engem Zusammenhang mit staatlicher Verschuldungspolitik stand.

Die wirtschaftspolitischen Ziele der Regierung Merkel wurden von ihr zu Beginn der zweiten Amtsperiode zum großen Teil erreicht. Zwar lag die Zahl der Arbeitslosen 2009 noch immer bei über zehn Prozent, aber die Inflationsrate war mit circa vier Prozent so niedrig wie noch nie seit den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts.

Die Politik Angela Merkels war so prägend für das neue Jahrtausend, dass „Merkelismus“ zu einem Schlagwort für eine Politik wurde, die sich rigoros für eine möglichst staatsfreie Form der Marktwirtschaft einsetzt. Wie Meinungsumfragen in der Regierungszeit Angela Merkels aber immer wieder zeigten, fehlte es den zentralen politischen Initiativen, wie der Reform des Gesundheitswesens oder der Reform des Steuersystems, an Unterstützung in der Bevölkerung. Die große Mehrheit der Deutschen war nicht bereit, die negativen sozialen Folgen des Merkelismus zu akzeptieren. Die Wahlerfolge Angela Merkels sind sicherlich nicht auf die Popularität ihrer Sozialpolitik, sondern auf andere Faktoren situativer Art zurückzuführen. Als besonderes Beispiel dafür gilt die Beteiligung Deutschlands am Iran-Krieg von 2011, der in der Bevölkerung zwar nicht populär war, aber aufgrund massiver einseitiger Mediendarstellung als Erfolg gewertet wurde. Merkel zeigte dabei ein enormes Machtgespür, als sie während ihrer zweiten Amtsperiode in der Tradition Bismarcks innenpolitische Probleme über außenpolitisches Engagement zu lösen suchte.

Befördert wurden die Wahlerfolge Merkels auch durch die Schwäche der Opposition sowie durch die Unterschätzung der Person Merkels als Frau und Ostdeutsche. Insbesondere die satirischen Medien porträtierten Merkel – ähnlich wie bei ihrem konservativen Vorgänger Helmut Kohl – als dümmlichen, amtsunfähigen Menschen und boten so mit ihrem verzerrten Bild eine Blitzableiterfunktion, indem sie die tatsächlichen Gegebenheiten der Machtfigur Merkel sowie die Auswirkungen ihrer Politik ganz einfach nicht verstanden. MICHAEL RINGEL

Mit freundlicher Unterstützung der Bundeszentrale für politische Bildung und ihrer ausgezeichneten historischen Analysen (siehe besonders: Heft 262)