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Fankultur im Feindesland

Viel Belehrung und ein großes Wir: „Fritz Bauer Ultras“ am Braunschweiger Staatstheater

Von Jan-Paul Koopmann

Demokratie muss man leben, sie ist nicht selbstverständlich, wir müssen aufpassen, damit sie nicht vor die Hunde geht. Bestreiten lässt sich das kaum. Und darum darf man sich schon etwas wundern, wie die politisch versierte, in Recherche und Ausdruck trittsichere Thea­tergruppe xweiss auf die Idee kommt, mit kaum mehr als dieser Botschaft einen ganzen Theaterabend zu bestreiten.

„Fritz Bauer Ultras“ heißt die Produktion, die das Team um Regisseur Christian Weiß am Braunschweiger Staatsthea­ter mit dem Ensemble entwickelt und zur Uraufführung gebracht hat. Wie der Name schon sagt, geht es an der Oberfläche erst mal auch gar nicht nur um die Demokratie selbst, sondern um den 1968 verstorbenen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer: berühmt für die juristische Rehabilitierung der Attentäter vom 20. Juli 1944, als wesentlicher Impulsgeber der Auschwitz-­Prozesse und für die Jagd auf SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann.

Dieses bewegte Leben ist im Stück bereits vorbei. Bauers weiße Totenmaske hängt inmitten der Spielfläche, einem schwer greifbaren schwarz-weiß gekachelten Raum, den Andrea Jensen gestaltet hat. Die Wände sind uneben, der Flimmereffekt des Musters wird durch anhaltende Licht- und Farbwechsel noch verstärkt. Durch Kopfhörer folgt das Publikum historischen Tonaufnahmen und dem, was fünf Schauspielerinnen in bunten Kapuzenpullis einem Mikro in der Bauer-Maske erzählen. Gesichter zeigen sie nicht, ihre sportlichen Bewegungen wirken streng choreografiert: die Titel stiftenden Ultras, wie man sie vom Fußball kennt. Sie zitieren Bauers Obduktionsbericht und Ermittlungen zur Todesursache. Denn alles war damals denkbar: eine eitrige Bronchitis, Suizid oder Mord.

Atmosphärisch ist das außerordentlich dicht. Der technische Aufbau steckt voller subtiler Irritationen, was Nähe und Per­spektive angeht. Die Geschichte bleibt fragmentarisch und ungeordnet: Fritz Bauer macht sich kurz vorm Sterben eine Wurst heiß, Fritz Bauer ist im KZ, Fritz Bauer sagt den berühmten Satz: „Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich Feindesland.“

Was als kriminalistisches Puzzle und Psychogramm einer Ausnahmepersönlichkeit beginnt, fällt schlagartig in sich zusammen, als sich die intime Aufführung zur Mitte ins Offene wendet. Im Publikum verschwinden die Kopfhörer und auf der Bühne fallen die Kapuzen. Personen gewordene Schauspielerinnen referieren nun über Rechtsextremismus von heute und über die Fritz Bauer Ultras: ihre fiktive Bewegung, die im Foyer echte Fanschals, Mützen und anderes Merchandise verkauft.

Bauer wiederum wird nun zur ideellen Bezugsfigur und zum Avatar von Demokratie und Rechtsstaat stilisiert. Dass der Personenkult etwas albern überdreht, fällt dabei kaum ins Gewicht. Die Ultras sind eh längst mit sich selbst und zwei Fragen beschäftigt: Was sind wir für ein Wir? Und was lässt sich gegen das grassierende politische Elend tun? Die Antworten sind so einfach wie unbefriedigend. „Wir“ sind alle, die es wagen, sich respektvoll als Mosaik widersprüchlicher Ichs miteinander ins Benehmen zu setzen. Und tun sollen wir dann … irgendwas: vorpolitische Räume besetzen, einander aktiv zuhören, radikal-subversiv zärtlich sein.

Manchmal stocken die Belehrungen, als wolle man gleich das Publikum befragen – aber es bleibt dann doch beim Selbstgespräch. So gut gemeint das auch ist: Ungebrochen engagierte Kunst stößt an Grenzen, wo sie Rechten als Moralpredigt erscheint und Linken als Selbstverständlichkeit.

Inhaltlich irritiert vor allem, wo dem begeisterten Mitmachen unterwegs eigentlich die Skepsis gegenüber Staat und Kollektiv abhanden gekommen ist. Anfangs war noch klar, dass Fritz Bauer dem eigenen Apparat kaum über den Weg traute. Mag sein, dass man einen dialektischen Dreh im Sinn hatte. Auf der Bühne misslingt der Stunt aber gewaltig: Fritz Bauer von der großen humanistischen Ausnahme im System zu dessen Symbolfigur zu machen.

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