: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel
Im Prozess gegen Mounir El Motassadeq legen US-amerikanische Behören weiteres Beweismaterial vor. Die Verteidiger sehen nun einen sicheren Freispruch, die Bundesanwaltschaft hält an ihrer Anklage fest
Seit Februar hat das Hamburgische Oberlandesgericht (OLG) auf Post aus den USA gewartet. Gestern nun konnte es im Prozess gegen den als Terrorhelfer angeklagten Mounir El Motassadeq die Zusammenfassung von Aussagen zweier al-Qaida-Köpfe zu den Anschlägen des 11. September 2001 verlesen – und alles ist wie zuvor. Die Positionen von Verteidigung und Bundesanwaltschaft (BAW) stehen sich weiterhin unbeirrbar gegenüber. Während Motassadeqs Anwälte von einem „Wendepunkt“ sprachen und ihre Überzeugung kundtaten, dass nun ein Freispruch erfolgen müsse, sieht die BAW den Angeklagten „nicht entlastet“.
Das lang ersehnte Beweismaterial bestand aus einer sechsseitigen Zusammenfassung der Verhöre von Ramzi Binalshibh und eines weiteren al-Qaida-Kaders. Beide gelten als Drahtzieher der Attentate auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon. Der in Hamburg angeklagte Motassadeq wird in diesen Verhörprotokollen kaum erwähnt. So zählt Binalshib die Mitglieder der „Hamburger Zelle“ um den Todespiloten Mohammed Atta auf – und erwähnt Motassadeq nicht.
Zudem hat Binalshibh, der von US-Sicherheitskräften an unbekanntem Ort inhaftiert ist und vernommen wird, ausgesagt, jene Terrorzelle habe bis ins Jahr 2000 gar nicht existiert. Diese Aussage veranlasst die Verteidigung, von einer Entlastung ihres Mandanten zu sprechen. Entscheidend für dessen Mitgliedschaft in der Terrorgruppe ist die Frage, wann die sich genau gegründet und die Anschlagspläne entwickelt hat. Die BAW hat immer den Standpunkt vertreten, dass die Hamburger Zelle spätestens seit 1999 existierte und den Plan verfolgte, mit Flugzeugen in den USA Anschläge zu verüben. Schon im Laufe des Jahres 1999 soll Motassadeq die Terrorpläne unterstützt haben.
Anders aber die Position der Verteidigung: Die geht davon aus, dass der Anschlagsplan von der al-Qaida-Spitze entwickelt und den späteren Attentätern erst im Spätherbst 1999 bei deren Aufenthalt in Afghanistan unterbreitet worden ist. Dann könnte Motassadeq die Pläne kaum tatkräftig unterstützt harben – und käme allenfalls als Mitglied einer terroristischen Vereinigung, nicht aber als Helfer beim Mord in 3.045 Fällen in Betracht.
Trotz der Aussage Binalshibs hält die BAW an ihrer Anklage fest. Binalshibh sei unglaubwürdig, da er „das Handwerk gut gelernt hat, die Ermittlungsbehörden zu täuschen“. Und auch wenn die Hamburger Zelle erst 2000 den konkreten Anschlagsplan entwickelt habe, sei doch schon 1999 der Entschluss gereift, in den bewaffneten „heiligen Krieg zu ziehen“.
In Anschluss an die Verlesung der US-amerikanischen Dokumente warnten Motassadeqs Rechtsanwälte davor, die Aussagen Binalshibs zu ignorieren. Der parallel angeklagte Abdelghani Mzoudi war im Februar vorigen Jahres vom OLG freigesprochen worden, nachdem in dessen Prozess Verfassungsschutzchef Fromm ebenfalls von einem Gründungszeitpunkt der Hamburger Zelle im Jahr 2000 gesprochen hatte. Bei Motassadeqs erstem Prozess 2003 war weder der Verfassungsschutz befragt worden, noch lagen die Aussagen Binalshibs vor. Motassadeq wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt. Sein Verteidiger Udo Jacob warnte gestern vor einem erneuten „Fehlurteil“.ELKE SPANNER