: Ganztagsschulen auf halber Flamme
Die bestehenden Ganztagsschulen befürchten massive Kürzungen: Rund ein Viertel der Erzieherinnenstellen könnten nach den Sommerferien wegfallen. Das bedroht die fortschrittliche Arbeit der Schulen, die bisher Unterricht und Freizeit verzahnen
VON SABINE AM ORDE
„Berlin macht ganztags Schule“ – mit diesem Slogan wirbt Bildungssenator Klaus Böger gern für die SPD-Bildungspolitik. Und präsentiert seine Pläne für den Ausbau der Ganztagsgrundschulen – ganz wie Bundesministerin Edelgard Bulmahn (SPD) – dann als pädagogische Reformkonzepte. Doch für die bereits bestehenden Ganztagsgrundschulen der Stadt könnte Bögers Politik zum Problem werden. Denn ihnen drohen zum nächsten Schuljahr massive Einschnitte beim Personal. Rund ein Viertel der Erzieherinnenstellen werde dann wegfallen. Das kritisierten zahlreiche betroffene SchulleiterInnen im Gespräch mit der taz.
„Damit wird unser ganzes pädagogisches Konzept kaputtgemacht“, sagte die Leiterin der deutsch-türkischen Europaschule, Christel Kottmann-Mentz. „Das wird ein ganz heftiges Problem“, kritisierte auch die Leiterin der Schöneberger Werbellinsee-Grundschule, Ellen Hansen. Denn die Erzieherinnen spielen in den Ganztagsschulen, bei denen Unterricht und Freizeit eng miteinander verzahnt werden und sich wechselseitig ergänzen sollen, eine ganz zentrale Rolle. „Bildungspolitisch ist das eine Katastrophe“, kritisierte der Leiter der Kreuzberger Reinhardwald-Grundschule Werner Munk.
Betroffen von den Kürzungen sind die 35 Ganztagsgrundschulen und die 18 zweisprachigen Europaschulen der Stadt, die ebenfalls eine verpflichtenden Nachmittagsbetreuung für alle Kinder bis 16 Uhr anbieten. Bislang gelten diese als Vorzeigeeinrichtungen.
Hintergrund, so heißt es an den betroffenen Grundschulen, ist die Verlagerung der Horte an die Schulen. Für die Nachmittagsbetreuung an den Grundschulen, den so genannten Offenen Ganztagsbetrieb, hat die Bildungsverwaltung ein kompliziertes Modulsystem erarbeitet, nach dem Eltern die Betreuung ihrer Kinder beantragen können. Bleibt das Kind nur kurz in der Nachmittagsbetreuung der Grundschulen, müssen die Eltern weniger zahlen – aber die Schule erhält auch weniger Geld für das Personal. In dieses System werden nun auch die anderen Ganztagsgrundschulen gepresst. Das Problem, so die betroffenen SchulleiterInnen: Es passt nicht und bedeutet eine enorme Verschlechterung des Personalschlüssels.
In der Bildungsverwaltung konnte man gestern die ganze Aufregung nicht verstehen. Es komme zu keiner Verschlechterung des Personalschlüssels, betonte die zuständige Fachfrau Susanne Pape. Richtig aber sei, dass der Wegfall der Vorklassen im kommenden Schuljahr und die Ausweitung des Unterrichts in den Klassen 5 und 6 zu einer Verringerung der ErzieherInnenstellen führe. Und bei der Berechnung nach dem Modulsystem werde nachgebessert. „Da arbeiten wir dran“, so Susanne Pape.
Ihre Argumentation trifft in den betroffenen Ganztagsgrundschulen auf Unverständnis. „Auch wenn es mehr Unterricht gibt, die Erzieherinnen werden doch trotzdem gebraucht“, sagt der Leiter der Weddinger Möwenseegrundschule, Ingo Strutz. Auf die Nachbesserungen aber warten alle gespannt.