: Mit Filmen nach rechts aufklären
Die Dresdner Schauburg zeigt SchülerInnen Filme wie „Jud Süß“ oder „Kombat Sechzehn“. Die anschließenden Diskussionen im Kino zeigen, wie beschränkt die Möglichkeiten des „Kinoseminars gegen Rechtsextremismus“ sind. Und wie wenig Sachsens pädagogische Einrichtungen unternehmen
AUS DRESDEN ROBERT HODONYI
Haribo-Tüten knistern, Snacks werden verzehrt, ein leises Tuscheln ist zu vernehmen. Gymnasiasten und Mittelschüler besuchen an diesem Morgen das „Kinoseminar gegen Rechtsextremismus“. Gezeigt wird „Jud Süß“, eines der perfidesten Machwerke der cineastischen Nazipropaganda. Dass der Film heute verboten ist, kann eine Schülerin gar nicht glauben: „Die alltäglichen Gewaltdarstellungen in durchschnittlichen Actionfilmen sind doch viel problematischer“, meint die junge Frau.
Das Filmtheater Schauburg in Dresden versucht etwas Neues: sich anhand des Mediums Film mit dem Nationalsozialismus politisch und ästhetisch auseinander zu setzen. Die Jugendlichen sollen sich aktiv und handlungsorientiert mit den rechten Ideologieversatzstücken und dem zeitgenössischen (sub)kulturellen rechten Lifestyle befassen, der sie täglich umgibt. Die außerschulische Bildungseinrichtung will die Neonazidebatte wieder in die ratlosen Schulen hineintragen. „Denn an Sachsens Schulen fehlen schlüssige Konzepte gegen rechts fast vollständig“, kritisiert der Leiter des Schulkinos, Niels Beer.
Mit „Jud Süß“ wird eines der kommerziell erfolgreichsten Propagandawerke der NS-Filmindustrie gezeigt. Über 20 Millionen deutsche Kinobesucher haben zwischen 1940 und 1945 Veit Harlans Film gesehen. Der Medienwissenschaftler Manfred Rüsel versucht, die Diskutanten in spe mit drei Leitfragen zu munitionieren: Ist es richtig, dass der Film verboten ist? Kann er heute noch antisemitische Einstellungen hervorbringen? Und: Was könnte, so sollen die Schüler mutmaßen, mit den beteiligten Personen nach dem Zweiten Weltkrieg passiert sein?
Die Antworten der Schüler folgen stets dem gleichen Schema. „Die Distanz zum Inhalt des Filmes wird immer größer. Wobei der antisemitische Tenor, der den Film ja kennzeichnet, häufig erkannt wird“, berichtet Rüsel aus seiner Erfahrung. „Aber er wird nicht mehr als das relevante Problem empfunden.“ Die Distanz der Schüler erklärt sich zum einen aus dem unpopulären Schwarz-Weiß-Format des Films, das ästhetische Distanz herstellt. Zum anderen aus der antiquierten Sprache. Ein Schüler meint während der Diskussion irritiert, dass es doch stimme, „dass die Juden alle reich wären“.
Rüsel will den Jugendlichen analytisches Werkzeug zum genauen Hinsehen vermitteln. Er erläutert die filmästhetischen Praktiken bei der Darstellung von „gut“ und „böse“, die Harlan in „Jud Süß“ fast zu Perfektion trieb. Zum Beispiel stellt er den untersichtigen Kamerastandpunkt und die Lichtführung für die Hauptfigur Süß Oppenheimer mit einer Schülerin und einer fiktiven Kamera nach.
Das „Schulkino gegen rechts“ bringt nicht nur historische Filme wie „Jud Süß“ oder „Der große Diktator“. Zur Debatte stehen auch zeitgenössische Produktionen wie „American History X“, „Oi!Warning“ oder seit neuestem „Kombat Sechzehn“, der das Abgleiten eines Jugendlichen aus Frankfurt (Oder) in eine rechte Erlebniswelt zeigt. Dresdens Schauburg zeigt ihn als Preview.
Die Berufsschüler aus Pirna, die diesmal das Publikum sind, zollen dem anwesenden Regisseur Respekt. Mirko Borscht arbeite in seinem Film mit wenigen Klischees, finden die Teens. Konflikte in der Schule und in rechten Cliquen zeige er realistisch. Etwa die Hindernisse, die sich beim Einstieg und dem schwierigen Ausstieg aus der rechten Szene ergeben. Das deckt sich mit Erfahrungen, die viele der jugendlichen Kinobesucher selbst gemacht haben. In der Diskussion tun sie so, als seien „Kameradschaften“ auch nichts anderes als gewöhnliche Jugendgangs mit einer Incrowd, die Regeln aufstellt, an die man sich eben zu halten habe. „Jede Kameradschaft ist da anders“, zuckt einer von den Berufsschülern die Schultern, als es um interne Gewalt und Disziplinierungstechniken geht. Was die Diskussion im Kino ausblendet: dass eine rechte politische Bewegung in Sachsen den Schulhof für sich zu instrumentalisieren weiß.
Hier aber müsste die Diskussion ansetzen. Während bekanntlich der Freistaat darüber nachdenkt, den Geschichtsunterricht als Pflichtfach ab der 9. Klasse nur noch fakultativ anzubieten, steigen die Anhänger der „Jungen Nationaldemokraten“ ein. Das zeigt nicht nur die Mittelschule in Wachau bei Dresden, die engagierte Schüler nur noch die „NPD-Schule“ nennen, weil rechte Jugendliche dort die kulturelle Hegemonie ausüben.
Nachdem die „Aktion Schulhof“ der NPD im vergangen Jahr scheiterte, zu der ein Rechtsrock-Sampler mit einer Auflage von 50.000 Stück als kostenlose Wahlwerbung an Jugendliche verteilt werden sollte, startet nun aus dem Umfeld von Burschenschaftlern und den Freien Kräften Sachsen ein neues Vorhaben. In Chemnitz, Dresden und auch in der Sächsischen Schweiz sind „nationale“ Schülerzeitungen entweder schon erschienen oder sind kurz davor. Laut dem Online-Magazin Telepolis existiert mit „Independent – unabhängige Schüler- & Jugendzeitung. kritisch – kreativ – zukunftsweisend“ bereits ein bundesweit geplantes rechtes Schülerzeitungsprojekt im A5-Format. Es kann über ein Postfach in Dresden kontaktiert werden.
Mit Verboten freilich ist Nationalismus, antidemokratischen Einstellungen und den vielfältigen Formen von Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus an Sachsens Schulen weder kurz- noch langfristig beizukommen. Auch ein „Schulkino gegen Rechtsextremismus“ allein steht da auf verlorenem Posten.