Melodie zwischen Lärmwänden

KONZERT Die Black Lips und Deerhunter füllen den Festsaal Kreuzberg und verwandeln ihn in eine Großsauna. Am Ende wurde es ein wenig albern

Wenn zwei Welten aufeinander treffen. Die Black Lips und Deerhunter kommen beide aus Atlanta, Georgia, sie sind beide zu viert, mit Bass, Schlagzeug und zwei Gitarren, und sie sind ähnlich alt, nämlich Mitte bis Ende zwanzig. Jetzt sind sie miteinander auf Tour. Am Montagabend haben sie den Festsaal Kreuzberg ausverkauft und in gemeinsamer Sache mit dem schwülen Sommerabend den Saal in eine Großsauna verwandelt. Aber eigentlich haben die beiden Bands herzlich wenig gemein.

Schon das Publikum müsste ein komplett anderes sein. Am Montag begannen Deerhunter, was für Menschen, die wegen dieser Band und nicht der anderen gekommen waren, ein Glück war. Deerhunter eröffneten ihr Set mit einer langgezogenen Krautrocknummer, mit einem jener hypnotischen Stücke, die auf einem Akkord aufbauen und nach Minuten zu einem zweiten übergehen. Es erinnerte an Stereolab, dann natürlich an Spacemen 3, das entscheidende Merkmal der Band war aber die Stimme des mehr als hageren Bradford Cox. Eine sehr breite, präsente, ordentlich verstärkte Stimme, die fast etwas Englisches an sich hatte, sie erinnerte nicht von ungefähr an die Stimme von Richard Ashcroft von The Verve. Was dann folgte, ging aber schnell über Reminiszenzen hinaus. Deerhunter surften durch die Meere des Krachs.

Und sie bedienten sich dabei bei der ganzen Palette, ohne bloß epigonal zu sein. Beim Krautrock, beim Beat, beim Dronerock, in den Sixties, beim Bolero, bei der C86, beim Shoegazer. Deerhunter schafften es, Melodielinien, die Brian Wilson erweichen würden, zwischen zwei Lärmwänden aufzuspannen, um refrainlos den nächsten Song in die monotone Wüste des reinen Krachs zu führen. Man stand, wippte, schwitzte und staunte. Bradford Cox, der seine elektronischen Seiten mit dem Projekt Atlas Sound auslebt und seine Hauptband gleich mit zum 4AD-Label nahm, stand auf der rechten Seite der Bühne, schrubbte auf der Gitarre, spielte Themen an, sang „Ahs“ ins Mikro, die gut geloopt wurden, während der Rest der Band, besonders Blickfang und Bassist Josh Fauver in der Mitte der Bühne, gut lässig ihren Part herunterspielte. Wobei angemerkt werden muss: Die schönsten Männer sind die vier nicht, und ihre Körperhaltung erzählte viel von der Verdruckstheit komplizierter junger Erwachsener, und Cox allein sang so manches Lied davon. Die Schönheit lag in seiner Stimme, in den Harmonien, in den Songs. Letzte Platte von Deerhunter heißt „Microcastle“, sehr zu empfehlen. Live klang die Band druckvoller, lauter, breiter, dröhnender. Die Platte gewinnt durch Kompaktheit.

Das war aber nicht alles, da waren ja noch die Black Lips. In einem anderen Kontext wären die vermutlich okay gewesen, und in einem anderen Alter auch. Es stellte sich heraus, dass sie die größere Fangemeinde hatten. Was nichts bedeutet und sich auch aus der Musik heraus erklären ließ.

Die Black Lips waren vergleichsweise stumpf, albern und unoriginell. Eine Bier-und-Mädchen-Band für die Schnittmenge aus Prolls und Erstsemestern. Mit vorhersehbaren Songs aus der Abteilung Melodiepunk und Pop ’n’ Roll, natürlich nicht unsympathisch, aber doch eher in der Liga von Bloodhound Gang oder Green Day; vier Jungs in albernem Outfit (am schlimmsten der linke Gitarrist, der komplett als Baseballtrottel verkleidet war) und noch albernerem Gehabe: auf die Monitorboxen klettern, lustig gemeinte Posen üben, Haare schütteln, dazu Stagediving im Publikum.

Ach, herrje!

Am schlimmsten war, dass keiner der vier singen konnte, es aber alle trotzdem versuchten. So blieb nur stumpfes Grölen und die Flucht in die angenehmeren Temperaturen draußen.

Kann sein, dass sich die beiden Bands untereinander gut verstehen. Und voneinander lernen. Fürs Auditorium hätten sie unterschiedlicher nicht ausfallen können. RENÉ HAMANN