: „Es gibt doch viel zu viele Menschen“
THEATER Im Brauhauskeller feiert das Auftragswerk „Wenn du mir meine Stimme nimmst“ Premiere. Hätte der Autor Stephan Seidel nicht gleichzeitig auch Regie geführt, wäre es richtig gut geworden
Uraufführung ist ein gar großes Wort, wenn es um Theater geht, und gerade in Bremen gehen sie damit großzügig um – allein acht davon gibt es in der laufenden Spielzeit. „Wenn du mir meine Stimme nimmst“, das am Freitag, Premiere, pardon: Uraufführung hatte, ist dabei zugleich ein Auftragswerk des Theater Bremen. Da lässt sich das wertvolle Etikett besonders leicht vergeben. Geschrieben und inszeniert hat das Werk der Endzwanziger Stephan Seidel, der sonst als Hausautor des Staatstheaters in Mainz fungiert. Dass es im Brauhauskeller aufgeführt wird, festigt einmal mehr das Profil dieser Bühne als respektablen Ort der Gegenwartsdramatik.
Der Stoff, der dem Stück zugrunde liegt, ist indes ein ganz alter, nämlich Hans Christian Andersens Märchen „Die kleine Meerjungfrau“. Es geht dabei um eine Meerjungfrau, die sich unsterblich in einen Prinzen verliebt, und um ihn – vielleicht – bekommen zu können, einen faustischen Deal eingeht: Sie verzichtet auf ihre Stimme. Bei Seidel ist daraus ein Tag am Meer geworden, ein imaginärer Raum, in dem die beiden ausgezeichneten Schauspieler Varia Linnéa Sjöström und Philipp Michael Börner keine Charaktere spielen, sondern nur Gedanken zahlloser Menschen am Strand ihre Stimme leihen. Immer wieder geht es um die Frage, wie – und wann? – wir eigentlich kommunizieren, um Sprache. Und es geht um Sehnsucht an beiden Seiten des Ufers, das Auseinanderklaffen von Traum und Wirklichkeit, um Missverständnisse, den Wunsch, mehr zu sein als man ist. Auch grundsätzliche Zweifel sind erlaubt: „Wie kann man denn ein Mensch werden wollen? Es gibt doch viel zu viele.“
Zwar changiert das eher assoziativ angelegte Stück, das so recht keine Geschichte erzählt, oft liebevoll zwischen Poesie, Komik und etwas aufklärerischer Gesellschaftskritik. Auch die Videosequenzen von Philipp Rust, derer es durchaus mehr hätte geben dürfen, fügen sich gut darin ein. Und doch kommt gelegentlich Langeweile auf, weil die Ideen des Autors nicht für eindreiviertel Stunden reichen. Ein fremder Regisseur hätte diesem Stück womöglich gut getan. Auf eine Stunde komprimiert, könnte es wirklich gut sein. JAN ZIER
18. April, 20.30 Uhr und 29. April, 19 Uhr im Brauhauskeller