berliner szenen: Pakete jetzt durchs Fenster
Wer wie wir im Erdgeschoss lebt, kennt es: Die Paketzusteller kommen häufiger vorbei als Freunde und Verwandte. Manche sehen wir jeden Tag. „Hab Paket für Nachbar“, ist oft der einzige Satz, den sie sagen. Wir schauen auf den Paketaufkleber, dann entscheiden wir, ob wir das Paket annehmen. Einer dieser vielen jungen Männer (es sind nie Frauen) ist besonders hartnäckig. Er hat immer ein Trägershirt an, das seine muskulösen tätowierten Arme frei lässt. Der braun gebrannte Typ spricht mit slawischem Akzent und sehr gebrochem Deutsch. Mein Mann hat ihm den Spitznamen „der Tschetschene“ gegeben.
Seine Besuche laufen immer gleich ab. Es klingelt und er steht mit einem Stapel Pakete vor der Tür. Dann sagt er oben erwähnten Satz. Oft sind die Pakete für Menschen am anderen Ende der Straße. Die nehmen wir nicht mehr an, seit wir einmal eine Woche lang damit verbrachten, die Pakete selbst auszutragen. Denn „der Tschetschene“ hält sich nicht mit Benachrichtigungen auf. Dadurch kennen wir jetzt viele neue Menschen aus den Häusern gegenüber.
Im Sommer waren wir für ein paar Tage verreist. Als wir zurückkamen, lagen fünf Pakete auf unserem Balkon. „Der Tschetschene schon wieder!“, schnaubte mein Mann. Sieht man ja an den Paketaufklebern. „War Kollege“, sagte der Mann, als wir ihn damit konfrontierten. „Mach das nicht noch mal“, sagte mein Mann. Die Woche verging. Dann klingelte es wieder an der Tür. Wir sahen den Mann im Trägerhemd mit einem Stapel Pakete durchs Fenster und entschieden „heute nicht“. Kurz darauf ertönte unser Nachname und Sekunden später flogen zwei Pakete durch die geöffnete Balkontür ins Wohnzimmer. Sie waren tatsächlich für uns. Jetzt wird es kühler. Wir fragen uns: Wie wird das, wenn die Fenster zu sind? Gaby Coldewey
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen