: „Die Musik muss mich packen“
PRODUZENT Der Kreuzberger Toningenieur Tobias Siebert prägt mit seiner Studioarbeit maßgeblich den Sound deutscher Bands. Ruhm bringt ihm das nicht, Produzenten bleiben oft im Hintergrund. Ein Besuch in Sieberts Studio am Schlesischen Tor
VON ANNE FROMM
Auf den ersten Blick wähnt man sich eher in einem Wohnzimmer als in einem Tonstudio. Bis unter die Decke reichen die Bücherregale, davor stehen Ledersessel, ein Kronleuchter verbreitet gedämpftes Licht. Vor einer golden gestrichenen Wand thront das Herzstück des Studios, das Mischpult. Gut vier Meter lang, einen Meter breit und übersät mit Hunderten Knöpfen.
Wenn es nach ihm ginge, hätte es noch ein paar Regler mehr, sagt Tobias Siebert. Erscheint ein neues Album einer Band, steht sie naturgemäß im Vordergrund. Der, der ihren Sound aufgenommen hat, der Produzent, bleibt dagegen meist unerwähnt. Dabei spielt er eine wichtige Rolle, vergleichbar mit dem Regisseur beim Film. Genau wie dieser den Schauspielern Spielanweisungen gibt, leitet ein Musikproduzent die Künstler dramaturgisch und technisch an.
Tobias Siebert hat sich in den letzten zwölf Jahren vor allem in der deutschen Indieszene einen Namen gemacht. Der 35-Jährige produziert Gitarrenbands, die sich im weitesten Sinne als Pop bezeichnen lassen, darunter Juli, aber auch richtige Indie-Bands wie die Berliner Doctorella. Deren am Freitag erschienenes Debütalbum „Drogen und Psychologen“ entstand im letzten Jahr bei Siebert.
Selbst gekochtes für die Bands nach Feierabend
Sein Studio liegt im Hinterhof eines ehemaligen Mehlspeichers in Kreuzberg. Als er den Speicher vor sieben Jahren zum ersten Mal betrat, war der Boden bedeckt von einer dicken Mehlschicht und Förderbänder hingen von den Wänden. Mit Freunden hat er die Etage renoviert und Räume abgeteilt. Es gibt eine große Küche, in der Siebert nach Feierabend mit den Bands bei selbst gekochtem Essen sitzt. Ein langer Flur führt zu zwei Studios: ein kleines und das neu ausgebaute, das gemütliche Wohnzimmerstudio.
Die Produktion eines Albums dauert etwa drei Monate – Wochen, in denen Siebert sich ausschließlich der Band widmet. Dann verbringt er täglich zwölf bis 14 Stunden mit den Musikern. „Das ist eine sehr intensive Zeit, man muss schnell zusammenwachsen und zu einer Familie werden. Deswegen ist es wichtig, dass mich das, was wir aufnehmen, hundertprozentig überzeugt“, sagt Siebert.
Manchmal stößt Siebert dabei an seine Grenzen. Wenn es nicht mehr vorwärts geht oder nicht so klappt, wie er und die Band sich das wünschen, dann helfen Pausen. Die Spree ist um die Ecke, da sitzt er dann mit den Musikern und redet über ganz andere Dinge als die Musik. Nach ein bisschen Ruhe sind die Köpfe meist wieder frei.
Eigentlich hatte Siebert gar nicht vor, professioneller Produzent zu werden. Als er im Jahr 2000 in einer kleinen Garage in Pankow sein erstes Studio aufbaute, wollte er dort erst mal nur seine eigene Band aufnehmen. Aus einem ehemaligen Kongresscenter holte er Mikrofone, Kabel und Verstärker, die niemand mehr brauchte. Ob das gute Technik war, wusste er nicht, vom Produzieren hatte er keine Ahnung. Ein paar Jahre später war er Praktikant in einem Hamburger Studio und entdeckte, dass die Produzenten dort mit ebendiesen Mikrofonen arbeiteten. „Da wurde mir bewusst, was für Schätze ich hier rumstehen habe.“ Das war der Anstoß, das Studio zu gründen. Er begann sich weiter mit dem Produzieren zu beschäftigen, nahm befreundete Bands auf, probierte viel aus. Als 2004 zum ersten Mal eine überregionale Band anfragte, ob Siebert sie nicht produzieren wolle, wusste er, dass er auf dem richtigen Weg war.
In den letzten Jahren haben immer mehr Musiker angefangen, ihre Songs zu Hause selbst zu produzieren. Die Technik ist billiger geworden, das Wissen lesen sich viele im Netz an. Zeiten, in denen Demoaufnahmen schlecht klangen, sind vorbei. Konkurrenz für Siebert? Im Gegenteil. Siebert sieht das eher als Ergänzung zu seiner Arbeit, wenn die Bands mit diesen Aufnahmen zu ihm ins Studio kommen. „Manchmal übernehmen wir aus den Wohnzimmertracks sogar einzelne Tonspuren, weil sie etwas Besonderes haben, wenn es rauscht und knarzt und man die Straßengeräusche von draußen hört.“
Siebert versteht sich nicht nur als Produzent, sondern auch als Starthelfer für unbekannte Bands. Es gibt keinen Festpreis bei ihm. Fragt jemand an, wägt er ab: Steht da ein Label dahinter, geht die Band in Vorleistung, wie viel Aufwand wird die Produktion benötigen? Junge Bands, die knapp bei Kasse sind, ihn aber begeistern, produziert er erst mal auf eigene Kosten und sucht dann mit ihnen ein Label, betreut sie bei den Proben für Liveauftritte. „Als ich mit meiner Band damals angefangen habe, hat uns auch ein großes Studio produziert, obwohl wir nicht viel bezahlen konnten. Das hat mich sehr beeindruckt.“
Warten auf The Cure
Nur eine Band sollte ihm nicht mit Demoaufnahmen kommen: The Cure. Sieberts absolute Lieblingsband, aber alles, was die Briten in den letzten 20 Jahren an neuem Material veröffentlichten, hat Siebert bitter enttäuscht. Sein Traum wäre es, ihr nächstes Album zu produzieren, um sie endlich zu ihrer früher so besonderen Aura zurückzubringen.