Wahlkampf in der heißen Phase

ÄGYPTEN In einer Kehrtwende nominiert die Muslimbruderschaft einen eigenen Präsidentschaftskandidaten. Der Sieg von Chairat al-Schater steht damit noch nicht fest

Bei den Wahlen im Mai ist das islamistische Lager gespalten

AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY

Die ägyptischen Muslimbrüder haben endlich die Katze aus dem Sack gelassen. Mit dem einflussreichen islamistischen Tycoon Chairat al-Schater schicken sie nun doch einen Präsidentschaftskandidaten ins Rennen. Das beschloss der Schura-Rat der Organisation am Wochenende mit einer knappen Mehrheit von 56 zu 52 Stimmen.

Die Muslimbrüder brechen damit ein Versprechen, dass sie nach dem Sturz des Diktators Husni Mubarak abgegeben hatten. In der Erwartung, bei den Parlamentswahlen gut abzuschneiden, hatten sie verkündet, keinen eigenen Präsidentschaftskandidaten aufzustellen. Damit wollten sie den Liberalen, der Militärführung und dem Ausland signalisieren, dass sie nicht beabsichtigten, zu viel Macht zu bündeln. Doch in letzter Zeit war immer wieder spekuliert worden, ob die Muslimbrüder und ihre Freiheits- und Gerechtigkeitspartei, die bei den Parlamentswahlen tatsächlich fast die Hälfte der Sitze gewonnen hat, wirklich bei dieser Linie für die Wahlen im Mai bleiben.

Die Präsidentschaftskandidatur schürt nun die Befürchtung, dass die Muslimbrüder, die auch in der verfassungsgebenden Versammlung übermäßig stark präsent sind, ihre Macht ähnlich wie zu Zeiten des Mubarak-Regimes monopolisieren könnten. Doch das macht auch ihre Schwäche aus. Ein Durchmarsch widerspräche der politischen Vernunft, dass der Wandel in Ägypten im Rahmen eines politischen Konsenses aller wichtigen Gruppierungen von Statten gehen sollte, um nachhaltig zu sein. Andernfalls wäre das Hauptproblem der Muslimbrüder bald, dass sie alleine für die zahlreichen Probleme des Landes verantwortlich gemacht würden.

Doch bislang ist nicht sicher, dass al-Schater als Sieger aus der Wahl hervorgehen wird. Er muss nicht nur gegen den ehemaligen Chef der Arabischen Liga, Amru Musa, antreten. Neben al-Schater ist jetzt auch der Salafist Hazem Abu Ismail mit seiner Kandidatur in aller Munde. Sein Bild hängt an der Rückscheibe jedes vierten Kairoer Taxis. Abu Ismail hatte für seine Kandidatur wesentlich mehr Unterschriften gesammelt als seine Konkurrenten. Aber auch ein anderer Kandidat, der ehemalige Muslimbruder Muhammad Abul Futuh, der wegen seiner Weltoffenheit und seinen guten Verbindungen zu den Liberalen und der Tahrir-Jugend vor allem bei jüngeren Muslimbrüdern beliebt ist, könnte al-Schater Stimmen kosten. Seinen Rufen nach einer Politik, die größere soziale Gerechtigkeit herstellt, stellen die Muslimbrüder nun ausgerechnete einen islamistischen Multimillionär gegenüber. Das Rennen, wer statt Mubarak das Land führen wird, ist in seine heiße Phase getreten.