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Archiv-Artikel

Zwang zum Umzug: der gläserne Mieter

SOZIALES Bezirksamt soll persönliche Daten eines Hartz-IV-Empfängers weitergegeben haben

„Was hat Miete mit einem medizinischen Gutachten zu tun?“

Christoph Müller, Mieter

Aus der Wohnung ausziehen müssen, in der man seit 17 Jahren lebt: für viele Menschen keine schöne Vorstellung, für Christoph Müller* ein existenzielles Problem. Der 44-Jährige ist psychisch schwer krank, Panikattacken und Angstzustände haben ihn arbeitsunfähig gemacht. Nun lebt er von Hartz IV. Das Grundsicherungsamt Charlottenburg-Wilmersdorf kommt für seine Wohnung auf – und will ihn zum Umzug bewegen.

Denn Müllers Wohnung kostet deutlich mehr, als es der Regelsatz vorsieht. Psychologische Gutachten haben ihm jedoch eine Umzugsunfähigkeit bescheinigt. Das Amt erkennt diese jedoch nicht an und hat deshalb eigene Gutachten angeordnet – und das offenbar mit datenschutzrechtlich fragwürdigen Methoden. Die Information, dass die Miete für Müllers Wohnung über dem Richtwert liegt, wurde wiederholt vom Bezirksamt an die zuständigen Ärzte weitergegeben. „Für mich ist nicht nachvollziehbar, was meine Miete mit einem medizinischen Gutachten zu tun hat“, sagt Müller.

Christoph Müller ist laut der „Kampagne gegen Zwangsumzüge“ kein Einzelfall. „Es ist eine durchaus übliche Praxis in Berlin, dass Informationen über die Miethöhe an die Amtsärzte übermittelt werden“, sagt Karin Baumert von der berlinweiten Initiative. Sie berät Menschen, die vom Sozialamt zum Umzug aufgefordert werden, weil ihre Miete den vorgesehenen Regelsatz übersteigt.

Zwar sieht das Gesetz vor, dass Menschen in Ausnahmefällen in ihren Wohnungen bleiben dürfen – etwa dann, wenn ihnen ein Umzug gesundheitlich nicht zuzumuten ist. Aus ihren Beratungsgesprächen jedoch, sagt Baumert, wisse sie, dass die Ämter oft alles daran setzen, dem Betroffenen doch noch die Umzugsfähigkeit zu bescheinigen – auch durch die Weitergabe von medizinisch irrelevanten Daten wie der Miethöhe. Sie vermutet, dass in vielen Fällen Gutachten durch diese Informationen tatsächlich beeinflusst werden: „Wenn der Gutachter sieht, dass da ein Mensch in einer teureren Wohnung wohnt, als ihm per Gesetz zusteht, hat das natürlich Auswirkungen darauf, was dem Betroffenen zugemutet wird.“

Vor gut einem Jahr hat Müller Beschwerde beim Berliner Datenschutzbeauftragten Alexander Dix eingelegt. Dieser kritisierte das Vorgehen des Amtes scharf und empfahl, künftig genauer zu prüfen, welche Daten weitergegeben werden dürfen. Die Miethöhe zähle nicht dazu. Das Amt versprach daraufhin, künftig keine Angaben mehr über die Miethöhe an Gutachter weiterzugeben.

In der Antwort auf eine kleine Anfrage der Piraten im Bezirk sagte der CDU-Bezirksstadtrat für Soziales, Carsten Engelmann, „die Abteilung Soziales hält sich an die Erklärung“. Doch das ist offenbar nicht der Fall: Im Herbst 2011 wurde auf Anraten eines Richters ein weiteres Gutachten beantragt. Christoph Müller bat um Einsicht in das Schreiben des Amts und staunte: „Die Kosten des Herrn Müller übersteigen den angemessenen Umfang“, heißt es in dem Schreiben.

Abermals wurde diese Information an den mit dem Gutachten beauftragten Arzt weitergegeben, abermals wandte sich Müller an den Datenschutz. Dieser hat das Verfahren nun formal beanstandet. „Für die Überprüfung der Umzugsfähigkeit eines Sozialhilfeempfängers ist die Mitteilung des Umstandes, dass die Miete den angemessenen Umfang übersteigt, nicht erforderlich“ – und damit rechtlich auch nicht zulässig.

Christoph Müller kämpft nun mit Hilfe eines Anwalts darum, in seiner Wohnung bleiben zu dürfen. „Für die Empfänger von Transferleistungen müssen die gleichen Rechte und der gleiche Schutz gelten wie für alle anderen Menschen auch“, sagt er.

Malene Gürgen

*Name geändert