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Ausgehen und rumstehen von Hilka DirksEwig glitzernde Liebe und nackter Beton

Komisch, es ist ja gar nicht komplett ausgestorben hier“, sagt L. zu mir, als wir in der Dämmerung über den Platz vor dem Jüdischen Museum laufen. „Ich dachte immer, hier lebt niemand.“ Sie hat recht, in einem Restaurant leuchten warme Lichterketten in sanfter Stimmung, es sind erstaunlich viele Leute beim Schlendern, Eisessen und Lachen zu beobachten. Wir biegen an einem Gebäude rechts ein, auf der Suche nach der Launch-Party eines Tattoo-Kunst-Editionsprojekts. Noch mehr Gelächter hallt uns entgegen, der kleine Projektraum ist voll, auf nacktem Beton hängen die Entwürfe, es wird warmer Weißwein ausgeschenkt und der große Totalkünstler Timm Ulrichs legt alte Funk-Schallplatten auf. „Bei uns gibt es nicht nur Boomer im Projekt, hier legt noch die Silent Generation auf“, kommentiert eines der Projektmitglieder, während die Gäste noch irgendwo zwischen Ehrfurcht und Begeisterung über das Tanzen nachzudenken scheinen. „Es fühlt sich irgendwie groß an, was hier gerade passiert“, höre ich eine Frau sagen.

Nach vielen Runden Hallo-herzlichen-Glückwunsch-und-du-so? müssen wir weiterziehen. Eine verspätete Hochzeitsfeier in einem Charlottenburger Penthouse ruft. Der letzte Samstag im August ist fürs Heiraten erschaffen worden, zumindest erzählt mir meine Freundin L. das im Auto auf dem Weg, gleichzeitig feiern noch so-und-so in Kladow und sie-und-er in Potsdam ihre ewige Liebe, da seien auch die-und-der eingeladen. Ich bin begeistert über so viel Optimismus und Feste auf einmal.

Im Eingangsbereich begrüßt uns eine kostümierte Frau mit Gästeliste, ihre kurze Uniform und ihre überbordende Serviceorientiertheit sind charmant und irritierend gleichermaßen. Dass es das noch gibt, denke ich im Fahrstuhl, nun gut, der Dresscode des Abends ist Slim Aarons goes Miami, angelehnt an die pastelligen Träume des Starfotografen, da passt natürlich auch das amerikanisierte Servicepersonal mit leicht antiquiertem Girl-Habitus sehr gut. Auf dem Dach angekommen gibt es Drinks, Glückwünsche, mehr Drinks, Geschenke, Häppchen und viel Hallo-hallo-du-siehst-fantastisch-aus. Erstaunlicherweise haben sich tatsächlich fast alle Gäste zumindest versucht an das Motto zu halten – ewiges Commitment scheint zu verpflichten.

Von hellen Ralph-Lauren-Hemden, die sich eben am besten von allem aus dem Schrank eigneten, bis hin zu etwas zu gut gemeinten Prince-Purple-Rain-farbigen Glitzerjackets ist alles dabei. Die Zärtlichkeit in der gemeinsamen Geste der Eingeladenen ist unübersehbar, lediglich ein paar wenige Berliner Kunst-Ultras konnten es nicht übers Herz bringen, ihr heiß geliebtes Schwarz hinter sich zu lassen.

Der DJ ist weit jünger als Timm Ulrichs, doch trotz oder eben genau deshalb dauert es ein wenig, bis die Tanzenden richtig in Schwung kommt. Zu gern stehen die Gäste auf der Terrasse, sprechen über ewige Liebe, große Ziele, kleine Niederlagen, die Sommerferien, die bevorstehende Art Week und selbstverständlich darüber, wie sie das Paar kennenlernten. Mit weiteren Drinks steigt drinnen die Ausgelassenheit und draußen die Wehmut – es ist eben unmöglich, von einem Hochhausdach auf die Stadt zu gucken und nicht leicht melancholisch zu werden, so, als wäre der Blick nach unten auch immer ein Blick zurück in die Vergangenheit.

Nach Mitternacht kommt die Torte, sie ist so wunderschön wie das Hochzeitspaar, und ich hoffe, dass die beiden es tatsächlich schaffen, für immer das Süße des Lebens so glücklich zu teilen, wie sie es mit dem Kuchen tun. Als die Tanzfläche endlich brodelt, die Barkeeperin langsam schon müde aussieht und sich hinter mir jemand mit den Worten vorstellt „Mein Name ist R. K., wir sind Freunde bei Facebook“, beschließe, ich L. zu suchen und heimlich zu gehen. Im Taxi sinken wir ins Leder, der Wind aus dem geöffneten Fenster ist kühl, der Champagner im Bauch kribbelt warm, die Stadt glitzert, und ich halte L.s Hand, bis sie aussteigt, ganz im Geiste ewiger freundschaftlicher Liebe.

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