: Die Stallburschen-Nummer
Die Band „BossHoss“ überführt bekannte Hits in Country-Versionen – mit großem Publikumserfolg.Aus der anfänglichen Schnapsidee ist inzwischen eine professionelle Angelegenheit geworden
VON THOMAS WINKLER
Da hegt einer einen „üblen Verdacht“. Die Band seines Vertrauens, bekennt ein gewisser „Toby“ im Internet-Gästebuch von BossHoss, spiele zwar einen Country-Rock, den er als „goil“ bezeichnen möchte. Aber sie kommt womöglich „gar nicht aus den Staaten“, vermutet er.
Was soll man sagen: Der Verdacht ist begründet. Die beiden Verdächtigen „Boss“ und „Hoss“ blinzeln an einem warmen Frühsommertag in einem Café in Mitte in die Sonne und geben freimütig zu, noch nie einen Fuß nach Nashville gesetzt zu haben. Hoss, den seine Freunde Sascha rufen, trägt nicht nur das Schicksal, ein gebürtiger Schwabe zu sein. Er verfügt zudem noch nicht einmal über eine veritable Sammlung an Country-Platten.
Wahrscheinlich war es diese Ignoranz, die Sascha und Alec erst dazu befähigte, einen spontanen Geistesblitz, der an der Theke einer Kneipe in der Kastanienallee einschlug, bis zur Marktreife zu führen. „Auch wenn es heute so aussieht“, sagt Sascha: „Es gab nie einen Plan.“ Es gab nur zwei Freunde, die sich jahrelang in unbekannten Grunge-, Alternative- und Sixties-Bands versucht und sich mit Jobs als Grafiker und Tontechniker durchgeschlagen hatten, sowie fehlenden Respekt vor Genre-Regeln. Mit „This Corrosion“ von den Sisters of Mercy bestanden sie ihren ersten Tauglichkeitstest. Die Schnapsidee, bekannte Hits ins Country-Format zu überführen, erwies sich vor Publikum als überraschend tragfähig. „Wir haben gemerkt, das zündet“, erzählt Sascha.
Es folgten Songs von Eminem oder Britney Spears und zwei Erkenntnisse: dass zum Waschbrett-Spielen kaum mehr nötig ist als „ein bisschen Rhythmusgefühl“. Und dass die Neubearbeitungen „als Party-Thema stark angenommen“ werden, so Alec. Der Urberliner trägt auch im Café sein ärmelloses Unterhemd, das ihn auf der Bühne zum Rancharbeiter Boss adelt. Mittlerweile wurde die Band, die sich nach einem Song der legendären 60er-Jahre-Garagepunkband Sonics benannte, erweitert um Mitstreiter mit so illustren Künstlernamen wie Russ, Guss, Frank, Hank und Ernesto. Sie alle stammen ebenfalls nicht aus den Vereinigten Staaten, sondern aus Ländern wie Frankreich, Russland oder Madagaskar. Zu siebt hat man sich einen fast schon legendären Ruf als Live-Combo erspielt. Dieser Tage erscheint ihr Debüt-Album „Internashville Urban Hymns“ bei einem weltweit operierenden Unterhaltungskonzern.
Das Prinzip ist simpel: „BossHoss funktioniert in erster Linie“, weiß Sascha, „weil wir bekannte Songs covern.“ Authentisch ausgerüstet mit Cowboy-Hüten, Stiefeln und Unterhemden, gibt man auf der Bühne „die Stallburschen-Nummer“ (Alec). So bietet man seinen Anhängern die Möglichkeit, ausreichend ironische Distanz zwischen sich und den Mainstream zu legen, und trotzdem enthemmt einen Bubblegum-Hit mitzusingen. „Die merken, wir nehmen uns nicht ernst“, analysiert Alec, „und dann muss sich das Publikum auch nicht ernst nehmen und verliert schneller seine Zurückhaltung. Wir sehen das mit Abstand. Nach Texas will ich demnächst jedenfalls nicht auswandern.“
Mit einer ähnlichen Strategie machten vor einigen Jahren Guildo Horn oder Dieter Thomas Kuhn den Schlager wieder hoffähig. Das „Verwursten von Klassikern“, wie es Alec nennt, geht dabei nicht eins zu eins vonstatten. Zwar nimmt die Auswahl, in deren Verlauf „ewig lange Listen am Tresen“ entstehen, bisweilen noch mehr Zeit in Anspruch als die eigentliche Umsetzung in den BossHoss-Kosmos. Aber die Songs, ob nun ein relativ nah am Country beheimatetes Stück wie „A Little Less Conversation“ von Elvis Presley oder das denkbar Genre-ferne „Sabotage“ der Beastie Boys, werden so grundlegend bearbeitet, dass bisweilen erst im Refrain der Wiedererkennungseffekt einsetzt. Ohne den aber bliebe der Erfolg aus: „Ein Hit muss es sein“, weiß Alec. „Sonst ist der Witz ja weg.“
Zwar hat man nicht vor, zur „klassischen Dorf-Tingelband zu werden, die 100 Covers drauf hat“. Aber schon heute ruft der eine oder andere aus dem Publikum Vorschläge auf die Bühne. Auch deshalb werden weitergehende künstlerische Ambitionen vorerst hintangestellt.
Auf „Internashville Urban Hymns“ finden sich auch drei eigene Kompositionen. Die aber haben einen schweren Stand haben gegen gestandene Hits wie „Seven Nation Army“ oder „Ice in the Sunshine“. Ihre schönsten Erfolge verzeichnen BossHoss allerdings ausgerechnet mit HipHop-Stücken: Gerade Nellys „Hot in Here“ oder Outkasts „Hey Ya!“ – die aktuelle Single –, entwickeln durch die musikalische Differenz, die ihre Versionen überwinden müssen, einen nachgerade surrealen Effekt. „Country bietet ein reichhaltiges Sammelsurium an Klischees, die man bedienen kann“, hat Alec festgestellt – das hat er mit dem Rap gemeinsam. Umso bedauerlicher, dass ausgerechnet Eminems „Without Me“ wegen ungeklärter Rechte-Fragen nicht auf dem Album gelandet ist.
Dass das Album bei einer großen Plattenfirma erscheint, weiß nicht nur Alec, ist in erster Linie „der Skurrilität der Band“ geschuldet. „Wenn die ganze Sache vor einem Jahr eingeschlafen wäre“, erinnert sich Sascha, „dann hätte es auch keinem wehgetan.“ Nun aber hat man dank des Novelty-Effektes einen Vorschuss bekommen – und BossHoss sind bereit, die Chance zu nutzen. Die beiden sind lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass es wohl die größte sein wird, die sich ihnen in ihrem Musikerleben bietet.
„Bis Ende des Sommers kommen wir finanziell über die Runden“, sagt „Boss“ Alec. „Wenn es nicht klappt, müssen wir halt wieder arbeiten gehen. Wär auch nicht so schlimm, nur schade.“ Dann bliebe zumindest endlich Zeit, die Reise nach Nashville nachzuholen.
BossHoss: „Internashville Urban Hymns“ (Island/Universal)