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Archiv-Artikel

Merkel geht mit der Bibel in den Wahlkampf

Beim Kirchentag verkneift sich die CDU-Chefin platte Seitenhiebe auf die Regierung – und macht sich beliebt

HANNOVER taz ■ Das Buch der Bücher hält für die protestantische Kanzlerkandidatin in spe bei ihrer Bibelarbeit auf dem Kirchentag einen Fallstrick parat. Gestern Morgen deutet Merkel im mit über 1.200 Menschen dicht besetzten Convention Center auf dem Messegelände in Hannover die Verse Maleachis aus dem 5. Jahrhundert vor der Zeitwende. Im von Kirchentagstheologen übersetzten 11. Vers des 3. Buches steht: „Ich verscheuche für euch die Heuschrecke“, damit sie „euch den Ertrag des Ackers nicht verdirbt“.

Merkel verliest stumpf die Übersetzung aus der Lutherbibel von 1984, in der es heißt: „Ich will um euretwillen den ‚Fresser‘ bedrohen“ – und sie vermeidet auch in der weiteren Bibelexegese Seitenhiebe auf den politischen Gegner, weil sie „ja keine platten Parallelen“ zwischen der Situation des vertriebenen israelischen Volkes vor 2.500 Jahren und dem siechen Deutschland von heute ziehen wollte.

Die Kirchentags-Organisatoren hatten die auf dem 30. Kirchentag zahlreich vertretene Politprominenz bereits am Eröffnungstag gewarnt, den Christentreff als Wahlkampfplattform zu benutzen. Beim Auftakt des Kirchentags am Mittwoch hatten sich fast 400.000 Menschen in der Innenstadt von Hannover versammelt. Ein großes Podium für die CDU-Chefin, das sie subtil für sich zu nutzen wusste.

So auch bei der Debatte in der „Themenhalle Globalisierung“, dem zweiten Wahlkampfauftritt Merkels. Es soll um den Begriff Heimat und Globalisierung gehen – und der angehenden Kanzlerkandidatin der Union gelingt es, auf dem früher eher Rot-Grün-nahen Kirchentag viel Applaus zu ernten, mehr jedenfalls als SPD-Chef Franz Müntefering, der mit ihr auf dem Podium sitzt. Wohlig-Emotionales findet Beifall, etwa ihr Bekenntnis zu ihrer Heimat Uckermark, wo sie wisse, „wann die Kraniche kommen“.

Das heimatliche Schützenfest von Münte kommt da im Vergleich nicht so gut.

Merkel dagegen warnt vor einer „Nomadisierung“ der Menschen, mit der die Globalisierung nicht enden dürfe. Sie geißelt den fehlenden Gottesbezug in der am Sonntag in Frankreich zur Abstimmung stehenden EU-Verfassung als „Manko“ und verteidigt die „privilegierte Partnerschaft“ für die Türkei anstelle eines Beitritts. Auch erntet Merkel vielfaches Kopfnicken mit ihrer Forderung nach mehr neoliberalen Reformen in der Wirtschaft: „Wir sind an vielen Stellen zu lahm geworden“, sagt sie – und zitiert damit den Bundespräsidenten Horst Köhler: „Wir müssen so viel besser sein, wie wir teurer sind.“

Nachher gruppieren sich zwar die Kameras um Müntefering, aber die eigentliche Siegerin heißt Merkel. Was heißt Siegerin. Eigentlich soll dies ja kein Auftakt zum Bundestagswahlkampf sein. PHILIPP GESSLERKAI SCHÖNEBERG