: Bremen billiger als andere
Ein altes Vorurteil wurde jetzt durch einen Vergleich widerlegt: Mit den Kosten für Sozialleistungen liegt Bremen nicht über, sondern unter dem Durchschnitt. Doch es bleibt dabei: Der Senat will Standards in Einrichtungen senken, notfalls im Alleingang
Bremen taz ■ Sozialleistungen sind eine komplizierte Sache, deshalb eignen sie sich wunderbar für Stimmungsmache – dass Bremen seinen Bedürftigen viel zu viel zahle, gehört zu den unerschütterlichen Ansichten und Standardsprüchen der CDU und inzwischen wohl auch des Senats. Bisher konnte niemand wirklich widersprechen, weil ein Vergleich mit anderen Städten oder Ländern umfangreich und schwierig ist und bisher fehlte. Doch das ist nun anders. Ein vom Senat im November in Auftrag gegebener Vergleich, neudeutsch Benchmarking, hat ergeben: Bremen zahlt eher unter als über dem Durchschnitt.
Weil dieses Ergebnis, das Vertreter des Sozialressorts und der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (LAG) gemeinsam erarbeitet haben, offenbar nicht das gewünschte war, wurde via Weser Kurier Anfang der Woche Gegenteiliges kommuniziert. Bei der Eingliederungshilfe für Behinderte, der Erziehungshilfe und der Hilfe zur Pflege „lägen die Kosten über dem Bundesdurchschnitt“, so lassen sich Quellen aus dem Sozialressort zitieren. Aber das stimmt nicht.
„Wir waren selbst überrascht“, sagt LAG-Geschäftsführerin Sylvia Gerking über die Ergebnisse. Der Vergleich der Kosten in den drei Bereichen Eingliederungshilfe, Pflegeheime und Erziehungshilfe mit denen der anderen Stadtstaaten, Bundesländer und Großstädte zeigt, dass Bremen bei den Kosten für Pflegeheime unter dem Mittelwert liegt. Ähnliches gilt für die Erziehungshilfen: Von sieben geprüften Leistungstypen liegen sechs „im unteren Mittelfeld bis Mittelfeld“, nur eine darüber.
Bei der Eingliederungshilfe für Behinderte gibt es einige Ausgaben-Kategorien, bei denen Bremen auf den ersten Blick mehr zahlt als andere Städte oder Länder. „Doch die Frage ist: Was wird mit wem verglichen“, so Sylvia Gerking von der LAG. Ein Beispiel, das die Komplexität und Problematik des Benchmarkings aufzeigt: Die „Vergütung in teilstationären Werkstätten für behinderte Menschen“. Bremen zahlt hier pro Tag und Teilnehmer 28,67 Euro. Dieser Betrag besteht aus drei Anteilen: der Grundpauschale, der Maßnahmepauschale und dem Investitionskostenanteil. Die Grundpauschale meint die Kosten für Unterkunft und Verpflegung. Bremen zahlt hier 6,44 Euro und liegt damit oberhalb des Mittelwertes von 6,27 Euro. Am meisten zahlt Hamburg (11,01 Euro), am wenigsten Westfalen-Lippe (2,10 Euro). Die ostdeutschen Bundesländer sind bei dem Vergleich nicht dabei, sonst wäre die Differenz noch eklatanter – Sachsen-Anhalt zahlt 27 Euro Grundpauschale. 2,10 Euro oder 27 Euro: „Das kann nicht das Gleiche sein“, so Sylvia Gerking. Jedes Land, jede Stadt rechnet in die einzelnen Positionen andere Faktoren hinein, die sich bis ins allerkleinste nicht aufschlüsseln lassen. Deshalb könne man nur den Gesamtbetrag vergleichen, finden Gerking und ihr Mitstreiter Wolfgang Luz vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, alles andere sei ungerecht. Beim Gesamtbetrag liegt Bremen unter dem Schnitt von 29,29 Euro. Dazu trägt bei, dass Bremen mit der Maßnahmepauschale, den Personalkosten, an achter von zehn Stellen liegt und damit weit unterhalb des Durchschnitts und am niedrigsten von allen drei Stadtstaaten. Ähnlich verhält es sich bei den anderen vermeintlich zu hohen Posten in den anderen Kategorien.
Das Vorurteil, Bremen zahle zu viel im Vergleich zu anderen, wäre somit widerlegt. Und jetzt? „Wenn sich jetzt herausstellt, dass nicht gekürzt werden kann wie pauschal veranschlagt, dann wird über die Fälle gesteuert“, sagt Sylvia Gerking lakonisch. Das passiert schon. Eine bereits umgesetzte Maßnahme aus dem Hause der Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD) ist die „Aufhebung der fachlichen Befürwortung zum Verlassen des Elternhauses bis zum 25. Lebensjahr“. Das heißt, junge Menschen mit Behinderungen, die von zuhause ausziehen wollen, werden anders als bisher darin nicht mehr von der Behörde unterstützt. Erwünschter Effekt: „Vermeidung von Fallzahlsteigerungen“.
Laut Senat sollen nun LAG und Behörde einen Rahmenvertrag aushandeln, der die Standards neu – niedriger – regelt. Falls das bis Ende November nicht gelingt, kann der Senat das im Alleingang per Rechtsverordnung festsetzen. „Dann muss der Senat konkret die Verschlechterung der Standards benennen und dafür die Verantwortung übernehmen“, fordert Gerking.
Der Senat tut erstmal was anderes: Er sucht sich eine neue Rechtfertigung fürs Kürzen, wenn das Benchmarking dafür nicht herhalten kann. Geprüft werden soll nun, beschloss der Senat in dieser Woche, „ob eine Orientierung allein an Mittelwerten angesichts der existenzbedrohenden Haushaltsnotlage Bremens noch als zielführend angesehen werden kann.“ sgi