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Archiv-Artikel

Schneekoppe und Schmelzofen

Von Mai bis Oktober gehört das Riesengebirge den Wanderern. Während es auf tschechischer Seite Mitteleuropas höchsten Berg nördlich der Alpen zu erklimmen gilt, kann man im polnischen Teil des Gebirges das „größte Dorf Preußens“ besuchen

Sagen wir’s ehrlich: Mit dem Tschechischen und auch mit dem Polnischen tun wir uns leider immer noch schwer. Deshalb ist es angenehm, dass im Riesengebirge nahe dem Dreiländereck bei Zittau viele Einheimische etwas Deutsch sprechen oder wenigstens verstehen. Jedenfalls die meisten Pensionsbetreiber und Gastwirte. Wer in der hübschen Pension Nikola im tschechischen Pec pod Sněžkou unterhalb der Schneekoppe absteigt, kann sogar wählen: Alena Novotny, die freundliche Inhaberin, spricht Deutsch. Mit ihrer Tochter Nikola unterhalten wir uns – während sie vor unseren Augen ein frisches Budweiser zapft – auf Englisch. Stark amerikanisch gefärbt. Nikola hat ein Jahr als Austauschschülerin im Mittleren Westen der USA hinter sich. Pec, klärt sie uns auf, ist das tschechische Wort für Schmelzofen. Wie viele andere Orte im tschechischen Riesengebirge sei der Ort eine Siedlung von Holzfällern und Bergleuten gewesen.

Pec pod Sněžkou, von den Deutschen Petzer genannt, ist ein guter Ausgangspunkt für eine Tour auf die 1.603 Meter hohe Schneekoppe, Mitteleuropas höchsten Berg nördlich der Alpen. Wegen seiner Schneesicherheit gilt das Riesengebirge bis Ostern als Skiparadies. Von Mai bis Mitte Oktober aber gehört es den Wanderern. Und die Wanderung durch den Riesengrund mit seinen Felswänden, Wasserfällen, Blumenwiesen und dem Blick auf das markante Massiv der Schneekoppe ist eine der schönsten im ganzen Gebirge. Bequemer ist es freilich, mit dem zweisitzigen Sessellift nach oben zu schweben und den Ausblick zu genießen. Doch noch imposanter ist der Rundblick in den Hirschberger Talkessel, ins benachbarte Isergebirge und hinüber zur Lausitz, der sich uns vom windigen Gipfel der sagenumwobenen Schneekoppe bietet. Hier oben verlief früher mal die österreichisch-preußische Grenze, heute trennen die Berge die neuen EU-Mitglieder Tschechien und Polen.

Schon vorher kamen viele Gäste aus dem benachbarten Deutschland ins Riesengebirge. Nach dem Wegfall der Schlangen an den Grenzen werden es noch mehr. Es ist viel passiert im letzten Jahrzehnt. Gründerzeitvillen wurden stilvoll renoviert, neue Hotels gebaut, Lifte modernisiert. Sommerrodelbahnen und Internet-Cafés wurden eröffnet. Und alles immer noch zu verträglichen Preisen: Eine Übernachtung mit reichhaltigem Frühstück ist schon ab 10 Euro zu haben. Für einen halben Liter frisch gezapftes Pilsner Urquell legt man gerade mal 1 Euro auf den Tresen.

Einer der gut markierten Wege führt von der Schneekoppe hinunter zur Siedlung Malá Úpa (Klein Aupa). Wegen der Lage direkt an der Grenze war das abgelegene Nest einst ein berüchtigtes Dorado von Schnaps- und Tabakschmugglern. Seit 1994 gibt es hier wieder einen kleinen, wenig bekannten und kaum frequentierten tschechisch-polnischen Auto-Grenzübergang. Wir entscheiden uns für den „Zickzack-Weg“ und steigen vom Gipfel hinunter zum polnischen „Schlesierhaus“ (Dom Słąski), aus dem es verlockend nach Piroggen und Bigos duftet. Hier stößt man auf den Kammweg des Gebirges. Die Wanderung auf dem rot markierten Weg mit den atemberaubenden Fernsichten ist der unbestrittene Höhepunkt jeder Riesengebirgsfahrt.

In der tschechischen Spindlerbaude direkt am Kammweg werden einfache Zimmer mit Etagendusche angeboten. Ein Bus fährt hinunter nach Špindlerův Mlýn (Spindlermühle), dem beliebtesten Ferienort auf der tschechischen Seite der Berge. Dort gibt es eine große Auswahl an Unterkünften. Einige Hotels säumen mit ihren Biergärten das Ufer der Elbe, die nicht weit von hier entspringt. Die Quelle, zu der ein ausgeschilderter Weg führt, ist mit bunten Mosaikwappen der Anrainerstädte eingefasst, von Vrchlabí (Hohenelbe) über Dresden bis Hamburg.

Über die Sturmhaube und das Hohe Rad führt der Kammweg weiter zum 1.362 Meter hohen Reifträger (poln.: Szrenica) mit einer Baude, in der man auch übernachten kann. Mit dem Sessellift gelangt man hinunter in den polnischen Ferienort Szklarska Poręba, von den Deutschen Schreiberhau geheißen. Im „größten Dorf Preußens“, wie die weit auseinander gezogene alte Glasmacher-Siedlung einst genannt wurde, lebte der aus dieser Gegend stammende Dichter und spätere Literatur-Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann, bevor es ihn nach Berlin zog. Um ihn scharte sich eine Künstler- und Gelehrtenkolonie, zu der auch der Soziologe Werner Sombart gehörte. Heute ist Hauptmanns Wohnhaus Museum und polnisch-deutsche Begegnungsstätte. FRANK SCHÜTTIG