Herr Schmitt von der CDU

Auf ihrem Parteitag wählt die CDU heute Ingo Schmitt zu ihrem Landesvorsitzenden. Kleinbürgerlich, selbstverliebt und strotzend vor Ressentiments – wie kein anderer steht der neue Chef für die alte Westberliner Union. Vom Anspruch einer „liberalen Großstadtpartei“ ist Schmitts Union weit entfernt

VON MATTHIAS LOHRE

Über Ingo Schmitt wäre schnell alles gesagt, ginge es nur um einen Lokalpolitiker, der heute den machtarmen Job eines Berliner CDU-Landesvorsitzenden antritt. In ein paar Sätzen wäre vermeldet, dass die Union mit Schmitt einen 47-jährigen Rechtsanwalt zum Nachfolger des glücklosen Joachim Zeller wählen wird. Die bisherigen Posten des Manns aus Charlottenburg-Wilmersdorf würden aufgezählt, und kurz fiele das Wort von der „Polit-Nutte“, eine Beschimpfung, die Ingo Schmitts Weg einen anderen Verlauf gab. Aber hier geht es nicht nur um Ingo Schmitt. Es geht um ein Lebensgefühl, das sich in verrauchten Kellerkneipen wohl fühlt, stramme Händedrücke und bündische Verschwiegenheit schätzt. Es geht um das alte Westberlin, das nicht vergehen will, fünfzehn Jahre nach der Wiedervereinigung.

Charlottenburg-Wilmersdorf ist nicht nur der Bezirk, in dem Ingo Schmitts Wohnort liegt. Schmitt ist nicht erklärbar ohne diesen Bezirk, seine bürgerliche Selbstgewissheit, seine Konditoreien und Eckkneipen, seine Angst vor Veränderung.

Ingo Schmitt ist 1957 in Charlottenburg geboren, besuchte hier die Grund- und Oberschule, studierte an der nahe gelegenen Freien Universität und saß schon als gerade 24-Jähriger im Abgeordnetenhaus. Über Funktionen in seinem Heimatkreisverband stieg Schmitt zum stellvertretenden Landeschef auf, war von 1991 bis 1999 Staatssekretär für den Verkehrsbereich. Seine Heimat blieb die CDU, eine Hausmacht im Wortsinne.

Schmitts Mutter ist eine lokale Parteigröße und bis heute in der Frauen-Union aktiv. Ingos jüngerer Bruder Bodo hat einen Job als Schriftführer im CDU-Ortsverband bekommen. Gegen Proteste aus den eigenen Reihen will Schmitt Junior einen Platz im Parlament. Sein älterer Bruder kümmert sich. Um Posten hat er sich immer gekümmert.

Über Inhalte debattiert die Hauptstadt-CDU nur selten, sagen nicht nur ihre Kritiker. Ingo Schmitt ebenso wenig. Es geht um Posten. Der Tagesspiegel schrieb vor Jahren unter der Überschrift „Freund, Feind, Parteifreund, Schmitt“: „Dieser Übereifer in der Sache, auf Kosten von Parteifreunden oder des CDU-Landesverbands insgesamt, zeichnete Schmitt schon immer aus, und in der Partei ist man sich weitgehend einig darüber, dass der Ex-Staatssekretär politisch alles mitmacht, was ihm persönlich nützt.“

Das wäre ein vernichtendes Urteil, ginge es um einen Politiker, der sich Wählern gegenüber gut verkaufen muss. Doch Ingo Schmitt traut sich nur selten ins Rampenlicht. Er weiß, er wirkt unsympathisch. Und wenn er trotz aller Bedenken doch einmal öffentlich das große Wort führt, gerät unversehens seine Lebensbahn aus den Fugen.

Im Juli 2001 schimpft Schmitt auf einer Pressekonferenz: „Schulsenator Klaus Böger ist die größte Polit-Nutte, die ich kenne.“ Denn: „Für sein B 11-Gehalt tut der alles.“ Drei Tage später muss er von seinem Amt als Generalsekretär zurücktreten. Es ist kaum ein Zufall, dass Schmitts schrille Worte in die Zeit des Machtverlusts fallen.

Ein rot-grüner Übergangssenat, unterstützt von den Postsozialisten? Die CDU, der Macht beraubt und ihres Übervaters Eberhard Diepgen noch dazu! Schmitts Verbal-Auswurf lässt sich als Zeichen der Hysterie deuten. Als Versuch, im parlamentarischen Machtwechsel noch mal das Panorama des Kalten Kriegs zu entfalten. Und als Signal des Machtanspruchs Schmitts.

Das geht daneben. Seine Äußerung bringt ihm stattdessen einen weich gepolsterten Abschiebeposten im Straßburger EU-Parlament. Sein erster großer Umzug, mit 44 Jahren, wird ihm also aufgezwungen. Doch die alte Heimat bleibt Dreh- und Angelpunkt. Hier zieht er weiter in Besprechungen die Fäden, hört auf die Stimmung der Basis. Er merkt, wenn ein Parteigenosse Unmut auslöst, und nutzt es aus. Das jüngste Beispiel ist Joachim Zeller, sein Vorgänger im Landesvorsitz, dem er heute die Hand schütteln wird.

Zeller ist eine Gegenfigur zu Ingo Schmitt. Ostdeutscher, als gelernter Slawist Osteuropa gegenüber offen. Bärtig, freundlich und so zögerlich, dass selbst wohlmeinende CDUler seufzen: Wann fängt Zeller endlich an, politisch zu denken? Jetzt ist es zu spät. Über Monate zogen sich Streite zwischen dem Kreisverband Steglitz-Zehlendorf und dem Landesverband hin. Da gab es die Äußerung des CDU-Bezirksverordneten Torsten Hippe, er könne nicht verhindern, dass er in einzelnen Punkten der NPD nahe stehe. Zeller forderte den Kreisverband auf, Hippe aus der Partei zu werfen. Nichts geschah.

Der mit 2.400 Mitgliedern größte Unionsverband der Hauptstadt ließ den machtlosen Landeschef auflaufen. Es ging nicht um Hippe, es ging um Zeller. Und um die Weigerung, ernst zu machen mit dem CDU-Motto der „liberalen Großstadtpartei“. Die Berliner Union ist bis heute eine Westpartei. Ihr Horizont endet ostwärts in Mitte. Joachim Zeller nimmt heute seinen Abschied, Torsten Hippe bleibt.

Die wahre CDU, das sind Leute wie der Steglitz-Zehlendorfer Bezirksbürgermeister Herbert Weber. Der beschimpft unaufgefordert Wehrmachtsdeserteure: „Etwas auf dem Kerbholz“ hätten sie in den meisten Fällen gehabt. Und „Auschwitz als Erinnerungsreligion“ gelte es zu überwinden zugunsten eines positiveren Deutschlandbildes. Das Kopfschütteln, die überregionalen Schlagzeilen, der Unmut der Bundespartei – das alles nimmt die hiesige CDU in Kauf. Denn sie fühlt sich unerschütterlich verankert in Westberlin: Wir waren immer da, wir werden bleiben. So denkt auch Ingo Schmitt.

VertreterInnen einer möglichen „liberalen Großstadtpartei“ gibt es in der Schmitt-CDU fast nicht mehr. Der Ex-Finanzsenator Peter Kurth – verlässt im kommenden Jahr zermürbt das Abgeordnetenhaus. Die Kulturpolitikerin Monika Grütters – tritt nicht mehr als Mitglied des Parteivorstands an. Der junge Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus Nicolas Zimmer – argwöhnisch beäugt von den Männerrunden im Westen.

Heute vollzieht sich auch offiziell der Rechtsruck in der CDU. Im Bund mit Michael Braun, dem Kreisvorsitzenden des mitgliederstarken Kreisverbands Steglitz-Zehlendorf, wird Schmitt künftig die Macht teilen. Und nur mit ihm.

Das Vakuum nach dem Machtverlust im Abgeordnetenhaus haben die Konservativen nie verwunden. Die Wahl Schmitts markiert nach dem Willen der Unions-Mächtigen einen Endpunkt: Nach vier Jahren soll der freie Fall der CDU heute enden. Der Wiederaufstieg aus der Kreisklasse wird ihnen schwer fallen, denn woanders haben sich die heute Mächtigen selten aufgehalten. Symptomatisch ist Schmitts Angebot an den Hertha-Torwart Christian Fiedler. Der parteilose Fußballspieler soll heute einen der sieben Stellvertreterposten erhalten.

Schmitts Vorgänger Christoph Stölzl und Joachim Zeller galten als Galionsfiguren einer offeneren CDU. Sie blieben Symbole ohne Macht. Schmitt ist Macht ohne Symbol.