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Archiv-Artikel

Spätzle mit Soße

Deutschland (5) – die wöchentliche Kolumne aus der Republik von Henning Kober. Heute: Der Verrat

Es brennt. Ein kleiner Junge mit braunen Locken springt und singt dabei: „Ick will das Feuer sehn, ick will das Feuer sehn.“ Über dem Kaufhof am Alexanderplatz dampft schwarzer Dunst. Die Feuerwehr heult heran. Polizei sperrt ab. Krankenwagen. Passanten stehen schon, essen Eis und fotografieren. Kann es sein, in diesem Land haben zu viele zu viel Langeweile? Gut, dass es da jetzt neben eBay, Gerichtsshow-Mittag und Kaufhausbrand noch einen Zeittöter gibt: Neuwahlen, die Entscheidungsschlacht um Deutschland. „Die oder wir“, so stellen sich das Münte, Gerd und Fischer vor. Könnt ihr aber total vergessen. Hallo, es ist 2005.

Als Helmut Kohl das Land regierte, glaubte ich noch an die Politik. Ich war fest überzeugt, starrsinnig, übergewichtig, geschmackfrei, so kann doch nicht Deutschland sein. Bekanntlich kamen aber mit Schröder nicht die Scotch und Soda-Jahre. Es wurde auch nicht schlechter, einfach egal.

Am traurigsten ist leider die Entwicklung der einzigen Partei, die ich jemals gewählt habe: die der Grünen. Ihr habt alles verraten, was euch und mir wichtig war. Die Trennung von Amt und Mandat – aufgehoben. Das Rotationsprinzip – vergessen. Multikultiland – nicht passiert. Der Atomausstieg – so angelegt, das er von der nächsten Regierung sowieso kassiert wird.

Das Einzige, was ihr hinbekommen habt: Schwule dürfen jetzt auch Spießer sein – und das Dosenpfand. Jetzt steht ihr da, verlassen und verstoßen von den Genossen, aber ihr seht nicht aus wie eine chinesische Kaiserinnenwitwe. Nein, ihr bemüht euch, auch den letzten Rest an Wert zu reduzieren.

Zum Beispiel Claudia Roth. Sitzt vor zwei Wochen am Samstagabend, das Haar orange gefärbt, bei RTL. Die Sendung heißt „Hape trifft …“. Roth neben Dirk Bach und Eva Padberg, die mit ihrem Pinscher dabei. Nach einem Einspieler mit David Hasselhoff ist sich Roth nicht zu gut, dessen größten Hit live im Studio zu geben. Singt: „I’ve been looking for freedom“. Spielt die Melodie auf einem Keyboard dazu. Das Publikum klatscht rhythmisch.

Wäre sie ein Tier? Dann: „Elvis, der Glitzerpudel von meiner Mama, der isst so gern Spätzle mit Soße.“ Beim Thema Rio Reiser macht sie eine Armbewegung in den Himmel, meint: „Wo immer er ist, ich glaube, Rio hat heute einen schönen Abend.“ Nein, bestimmt nicht. Müsste er dich sehen, er würde dir die Haare ausreißen. Sag bloß nie wieder jemand W-I-R. Der Kaufhof ist dann doch nicht abgebrannt.