: Anständig Altern
AUF LANGE SICHT Anti-Aging klingt zu Recht etwas nach Kosmetik – beim trendigen „Good Aging“ dagegen geht es um einen bewegten Lebensstil für Körper und Geist
VON HEIDE REINHÄCKEL
Was haben Darwins Schildkröte und die Europäische Kommission gemeinsam? Das Altern. Denn die vierbeinige Panzerdame Harriet von den Galápagos-Inseln soll an die 175 Jahre alt geworden sein, wogegen die dokumentierte Lebensspanne der ältesten Menschen rund 122 Jahre beträgt. Und die Europäische Kommission rief 2012 das „Europäische Jahr für aktives Altern und Solidarität zwischen den Generationen“ aus. Mit jeder Generation ändern sich auch die Bilder vom Altwerden. Während in den 1980er Jahren Altern verstärkt in seiner Verneinung als Anti-Aging verhandelt wurde, ist heute der Begriff mehrheitlich positiv konnotiert.
Vom „Good Aging“ spricht beispielsweise der Allgemeinmediziner und Experte für Präventivmedizin Rolf Simon. Aber wie gestaltet sich anständiges Altern und ab wann sollte man sich damit beschäftigen?
„Das Altern benötigt erst einmal eine gute körperliche Basis. So sollten ab 50 die körperlichen Risikofaktoren wie Cholesterin, Bluthochdruck und Übergewicht minimiert werden. Bei der Ernährung empfehle ich die ursprüngliche mediterrane Küche und fünfmal täglich Gemüse und Obst“, führt Simon aus. „Der Teufel trifft bewegte Objekte schlechter“, zitiert Karl-Adolf Zech den US-Gerontologen Walter Bortz. Denn der ehemalige Informatiker, der in seinem zweiten Berufsleben als geprüfter Präventologe in Berlin-Prenzlauer Berg arbeitet, setzt vor allem auf den Faktor Bewegung: „Mit zunehmendem Alter ist ein bewegter Lebensstil wichtig. Man sollte sich muskulär auf das Älterwerden vorbereiten. Denn ab 30 nehmen die Kraft und die Muskelmasse des Körpers ab und die Muskelqualität verändert sich. Deshalb empfehle ich als präventives Basistraining progressiven Muskelaufbau sowie Ausdauertraining. Letzteres kann auch langsames Joggen – ‚Joggeln‘ – sein oder Treppensteigen, also körperliche Aktivitäten am Übergang zur Alltagsaktivität.“
Auch für Simon zählt die körperliche Stärkung als ein entscheidender Faktor, zudem betont er die Bedeutung der motorischen Feinabstimmung: „Ebenso braucht die körperliche Koordination ein regelmäßiges Training. Tanzen ist da ein wunderbares Mittel oder ostasiatische Bewegungsformen wie Qigong sowie Barfußlaufen auf unebenem Untergrund oder Balancieren.“
Auch die Stiftung Warentest empfiehlt in einer Anti-Aging-Studie aus dem Jahr 2011 regelmäßige körperliche Betätigung, um beispielsweise Krankheiten wie Osteoporose vorzubeugen. Doch nicht nur körperliche Stärke und Mobilität, sondern auch die Förderung kognitiver, psychischer und sozialer Aspekte unterstützen einen aktiven Alterungsprozess ab der zweiten Lebenshälfte. Das beobachtet der Präventivmediziner Simon auch als langjähriger Leiter der „Aktivgruppe Neue Wege 50Plus“ in Dormagen: „Für die mentale Stabilität ist das Zusammenspiel von mehreren Faktoren wichtig. Man sollte zum einen lernen, Stress niedrigzuhalten oder besser mit ihm umzugehen, beispielsweise durch das Erlernen von Entspannungstechniken. Des Weiteren brauchen wir beim Altern geistige Nahrung. Denn durch Neurogenese entstehen lebenslang neue Nervenzellen im Gehirn, die herausgefordert werden wollen. Interessen, Hobbys, geistige Regheit und kulturelle Beschäftigung sind da ganz wichtig. Auch wissen wir, dass soziale Kontakte ein Schutzfaktor sind, um Menschen gesund zu erhalten und damit maßgeblich zur Lebensqualität beitragen.“
Für die seelische Gesundheit ist nach Simon weiterhin eine positive Grundeinstellung zum Leben wichtig: „Als kognitives Training lehre ich in meiner Praxis die Stopp-Technik zur Begrenzung der Negativität und das gleichzeitige Führen eines Glückstagebuchs. Bei der Stopp-Technik lernen die Patienten, beim Auftauchen negativer Gedanken laut oder innerlich Stopp zu sagen. Wenn sie dazu noch ein Tagebuch mit glücklichen Momenten führen, verbessern sich die Lebenseinstellung und die Sensibilität für die Umwelt.“
Gesundes Altern erscheint so als komplexes Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren, auf das aber eine Grundaussage zutrifft: „Zwischen 30 und 50 sagen die Leute, dass sie sich noch nicht alt fühlen, erst mit 50 geht es bergab und dann noch einmal verstärkt ab 70. Jedoch je früher man auf Muskelerhalt, ausgewogene Ernährung und Stressabbau achtet, desto besser ist man für den Alterungsprozess gewappnet. Ich nenne es robustes Altern, also trotz eventuell bestehender Defizite widerstandsfähig zu altern“, sagt Zech. Und sollte sich Altwerden manchmal gar nicht lustig anfühlen, dann empfiehlt der Präventologe: „Auch Lachen ist ein wichtiges Entspannungsmoment.“