„Es herrscht ratlose Ruhe“

Parteienforscher Korte über die CDU-Strategie

Jahrgang 1958, ist Politikprofessor an der Universität Duisburg-Essen im Fachgebiet „Politisches System der Bundesrepublik Deutschland und moderne Staatstheorien“.

taz: Herr Korte, wie aussichtsreich ist die Strategie der Kanzlerin, im Wahlkampf auf jede Zuspitzung zu verzichten?

Karl-Rudolf Korte: Sehr aussichtsreich. Merkels Verhalten ist durch Krise und große Koalition vorgegeben – abzuwarten und im richtigen Moment zu handeln. Ich nenne das den Kipp-Punkt des Regierens.

Kann ein solcher Punkt im Wahlkampf noch kommen?

Sicher. Die letzten Wahlkämpfe hatte die Union zu monothematisch angelegt, sie konnte in der Schlussphase nichts mehr nachlegen. Den Fehler wird sie kein drittes Mal begehen.

Welches Thema könnte es sein?

Nichts ist in der Bundesrepublik so verwurzelt wie das Thema Sicherheit. Deshalb könnte es die Sozialpolitik sein, aber auch die innere Sicherheit.

Von den konkreten Krisenlasten schweigen die Parteien. Lassen sich die Wähler bereitwillig in Sicherheit wiegen?

Den Eindruck habe ich nicht. Die Leute wissen aus ihrem eigenen Umfeld: Im Land herrscht eine ratlose Ruhe, die derzeit noch mit technischen Tricks aufrechterhalten wird. Jeder sieht zum Beispiel, dass überall gebaut wird. Und jeder weiß, im nächsten Jahr muss es bezahlt werden.

Die Kanzlerin will einen Mobilisierungseffekt auf der Gegenseite verhindern. Läuft sie Gefahr, die eigenen Leute nicht mobilisieren zu können?

Jeder Wahlkampf hat drei Ziele: Stammwähler zu mobilisieren, Wechselwähler zu binden und den Nichtwähleranteil unter den gegnerischen Stammwählern zu erhöhen. Die ersten beiden Ziele kann Merkel durch den Kanzlerbonus erreichen – und dadurch, dass sie sich auf dem G-20-Gipfel kurz vor der Wahl noch einmal als Krisenmanagerin inszeniert.

Merkel versucht sich in die Kontinuität der CDU-Kanzler Helmut Kohl und Konrad Adenauer zu stellen. Ist sie vom Typ her nicht zu verschieden?

Vom Typ her schon, aber die Krise macht sie solchen Großheroen durchaus vergleichbar. Von Merkels Handeln hängt es ab, wie wir aus der Krise herauskommen. Da gibt es durchaus Parallelen mit Adenauers Politik der Westbindung oder Kohls Agieren bei der Wiedervereinigung.

Gleichzeitig inszeniert sie sich bewusst als Frau und Ostdeutsche. Das ist kein Widerspruch?

An Merkels Stelle würde ich das sogar viel deutlicher machen, gerade angesichts der Krise. Mit ihrem eigenen Leben hat sie vorgemacht: Ich habe keine Angst vor Veränderung, ich habe schon einmal neu begonnen. Diese Rolle als Freiheitspatriotin hat ihr weltweit Anerkennung gebracht.INTERVIEW: RALPH BOLLMANN