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Gegen das Stromlinienförmige

Kompromisslos seit 1983: Ein Besuch bei Manuel Liebeskind, der mit Alex Buess in Berlin und Basel das kleine Label Skin and Speech für Postindustrial, Noise, Klangkunst und andere entlegene Musik betreibt

Bestens vernetzt: Manuel Liebeskind Foto: Marc Rodenhausen

Von Andreas Hartmann

Ein verzerrter Bass, hektisches Schlagzeuggeklöppel, Schabgeräusche, irre Breaks und dazu ein quietschendes Saxophon sind zu hören auf der Platte „Live @ Taktlos Festival 1995“ des Schweizer Trios 16-17. Die Band war von 1983 bis Anfang der nuller Jahre aktiv, existiert aber immer noch und genießt heute Kultstatus. Ihr collagierter und hochkomplexer Mix zusammengesetzt aus Versatzstücken aus Metal, Hardcore, Free Jazz und Noise gilt als Vorläufer für das, was Jazzcore-Bands wie die Flying Luttenbachers erst viel später versuchten. Und er nahm den brachial-virtuosen Sound des Tausendsassas und Erzavantgardisten John Zorn bei seinen Projekten Naked City und Painkiller vorweg. Gerüchteweise sei jedoch das, was die Band einst veranstaltet hat, selbst dem New Yorker Krachliebhaber „zu heftig“ gewesen, sagt Manuel Liebeskind. Auf seinem Label Skin and Speech sind vor Kurzem fast 30 Jahre alte Liveaufnahmen eines Konzerts von 16-17 in der Roten Fabrik in Zürich erschienen.

Skin and Speech gibt es seit 1983. Alex Buess, der Saxophonist von 16-17, hat das Label ungefähr zeitgleich wie seine damalige Band ins Leben gerufen. Es existierte in seiner ersten Phase bis Ende der Achtziger. Nach mehr als zwanzigjähriger Pause wurde es vor fast zwei Jahren revitalisiert. Buess, der inzwischen 70 Jahre alt ist, leitet das Labelgeschäft weiter von Basel aus. Manuel Liebeskind, der ebenfalls von dort kommt und ein alter Weggefährte von Buess ist, seit fast 30 Jahren aber in Berlin lebt, kümmert sich von hier aus um die kleine Plattenfirma.

Man besucht ihn in seinem Büro im neunten Stock eines Mietshauses im Hansaviertel. Das Büro ist letztlich nicht mehr als der Schreibtisch in seinem Wohn- und Schlafzimmer in der kleinen Bude, die er sich mit seinem Sohn teilt. Die Tätigkeit für das Label ist für ihn ein Nebenjob und eigentlich nicht einmal das. Geld könne man mit dem Verkauf von ein paar Vinylplatten obskurer Acts aus den Bereichen Postindustrial, Noise und Klangkunst so gut wie gar nicht verdienen, sagt Liebeskind. Deswegen hat er auch einen Brotjob als Systemadministrator an der Freien Universität.

Eigentlich habe er nie vorgehabt nach Berlin zu ziehen, berichtet er. Seiner damaligen Freundin sei er gefolgt, habe sich in der deutschen Hauptstadt dann aber „gleich wie zu Hause gefühlt“. Um bis heute in Berlin zu bleiben. Im Bereich Musik hat er sich außer an der Labelarbeit bereits in allen möglichen Bereichen ausprobiert. Er hatte eine kleine Konzertagentur, tourte mit von ihm betreuten Noiserockbands wie Melt Banana und Oxbow durch Europa. Er arbeitet immer noch gelegentlich als Toningenieur, spielt Gitarre und ist in diversen Bandprojekten tätig, unter anderem gleich in zweien gemeinsam mit dem in San Francisco ansässigen Kopf von Oxbow, Eugene Robinson.

Liebeskind ist vernetzt oder gar befreundet mit schillernden Figuren der Undergroundszene weltweit. Daraus macht er aber kein großes Gewese: „Ich kenne eigentlich kaum jemanden“, sagt der 59-Jährige. Überhaupt ist er eher der Typ, der sich lieber im Hintergrund hält. Voller Respekt erzählt er von seinem Partner Alex Buess in Basel und macht deutlich, dass man diesen ruhig weiterhin als das wahre Mastermind hinter dem gemeinsamen Label betrachten dürfe.

Nach mehr als zwanzigjähriger Pause wurde das Label vor fast zwei Jahren revitalisiert

Dabei stellt sich dieses seit seiner Wiedergeburt und Liebeskinds Einstieg schon etwas anders dar als zu Beginn, zeitgemäßer, wenngleich auch nur in Maßen. In den Achtzigern veröffentlichte Skin and Speech ausschließlich Kassetten. Heute sind es Schallplatten und Downloads, Streamingdienste werden jedoch nicht bedient. Die Kompromisslosigkeit ist gebleiben. Die Kassetten damals erschienen von vornehmlich Schweizer Underground-Acts wie Hirnschlag oder Menschenhauttrommel, die selbst der Onlineplattform Discogs zu entlegen sind und dort nicht zu finden sind, obwohl auf Discogs eigentlich so gut wie jedes jemals erschienene Ton­dokument aufgelistet wird. Heute sind es Platten von Acts wie der französisch-portugiesischen Dub-Noise-Free-Jazz-Combo Mé­ca­nosphère oder von Kikiriki, einem noisigen Solo-Act aus Slowenien. Oder eine Platte mit Klangcollagen des Berliner Künstlers Thomas Schulz. Und eben besagter Archivfund von 16-17.

„Die waren einfach extrem“, führt Liebeskind noch einmal zu dieser Band aus. „Das passte gut in die damalige Zeit. Das passt aber auch jetzt wieder, indem es sich gegen das von einer KI getriebene Stomlinienförmige von Spotify und Co wendet.“ Und was für 16-17 gilt, das gilt auch für das übrige Programm von Skin and Speech.

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