Es ist kurz vor Wolf

Das Wieder-Wölfisch-Werden in der Wirtschaft als quasinatürlich preisen: Die Wolfsmetapher steht für Unterordnung und Hierarchie, wie die Soziobiologen nicht müde werden zu betonen. Eine Analyse

VON HELMUT HÖGE

Das verspricht ein gutes Wolfsjahr zu werden – zumindest für den Metaphernforscher: In den Ardennen gingen kürzlich noch infolge von Kälte und Schnee zwei Wölfe in die Offensive – sie töteten und verspeisten mehrere Hunde, woraufhin sie von Jägern erschossen wurden. Dann „zerfleischte“ laut Kurier ein Wolf direkt „vor den Toren Berlins“ die Terrierhündin eines Försters in der Neustädter Heide. Der Chef des Bundesforstamtes, Graf von Plettenberg, riet daraufhin allen Spaziergängern im Wald ihre Hunde anzuleinen, was jedoch von diesen als Zumutung empfunden wurde. Viele Hundebesitzer sehen nicht ein, warum herumstreunende Hunde ganzjährig abgeschossen werden dürfen, wildernde Wölfe jedoch geschützt sind – so groß sei der Unterschied doch nicht, zumal der Haushundetrend sowieso zum Wolfshund gehe.

Schon befürchten Wolfsforscher wie Dr. Salm-Schwader, dass sich die Intelligenzija unter den Wölfen diese Entwicklung zunutze machen könnte: indem sie etwa abends in den Vororten einen Hund reißen und sich dann brav an dessen Stelle setzen, um auf sein Herrchen zu warten – ihre Hauptspeise sozusagen. Dies legt auch eine Videoinstallation des albanischen Künstlers Anri Sala nahe, die er in den Hamburger Deichtorhallen ausstellte. Es geht dabei um die Zeitspanne der Dämmerung, die der Künstler auf Französisch als „entre chien et loup“ bezeichnet.

Aber auch verschiedene Väter- und Männergruppen horchten auf: Vor allem bei der allzu üppigen Berichterstattung über die Autobiografie „Wolfssonate“ der französischen Pianistin Helene Grimaud, die eine besonders intensive Beziehung zu einer Wölfin namens Alawa aufbaute. Diese mochte jedoch Helene Grimauds Freund Jeff nicht, woraufhin die Pianistin sich sofort von ihm trennte.

Das Leben im Rudel

Anschließend leistete sie sich ein eigenes Wolfsgehege bei New York, wo sie inzwischen mit einem ganzen Rudel lebt. Zwar legte sie sich hier auch einen neuen Freund zu, Henry, aber als „my man“ bezeichnet sie nur ihren Leitwolf Axel, mit dessen Rudel sie auch zusammen im Chor singt. In Interviews erklärt sie dazu: „Unsere Sinne sind so verkümmert. Die Musik fordert eine Schärfung der Sinne und der ursprünglichen Qualitäten des Menschen.“ – „Mein Gott, was für eine Frau … zugleich Frau am Klavier und Frau mit den Wölfen“, stöhnte die Süddeutsche Zeitung angesichts von so viel exklusiver Raubtiersodomie.

Diese neueste Blüte neoliberaler Wolfsphilie ließ auch der ukrainischen Grand-Prix-Gewinnerin Ruslana Lyschytschko keine Ruhe: Ihr neuester Hit, der die „orange Revolution“ feiert, heißt „Dancing with the Wolves“. Die Sängerin präsentierte ihn im Festsaal der ukrainischen Botschaft in Berlin – als Videoclip: Ruslana sitzt im Käfig und wird von Wölfen außerhalb angegriffen. Erst versucht sie sie mit einer Waffe abzuwehren, aber dann hypnotisiert sie die Tiere. Die Wölfe sind natürlich die Russen, was diese ihr dann auch besonders übel genommen haben. Es gehe aber darum, verteidigten die Ukrainer den Ruslana-Clip, dass die Russen früher immer auf die Ukrainer herabgesehen hätten – man wolle jetzt jedoch auf Augenhöhe miteinander verkehren.

Dabei steht die Wolfsmetapher jedoch eher für das Gegenteil: für Unterordnung und Hierarchie, wie die Soziobiologen nicht müde werden zu betonen, indem sie das Wieder-Wölfisch-Werden in der Wirtschaft als quasinatürlich preisen – bis ins Feuilleton, wie zuletzt im Tagesspiegel, wo ein Matthias Glaubrecht, der einmal an einer Geschäftsleute-Delegation teilnahm, schrieb: „Wir beobachten, wie unsere Chefs mit den uns Unbekannten der anderen Gruppe umgehen, und lernen die interne Rangordnung unserer Gegenüber kennen.“ Soso! In seinem Plädoyer für die „Alpha-Tiere“ argumentierte der Autor ausschließlich biologisch – vor allem mit der wölfischen „Rangordnungsstruktur“, die er tautologisch als erfolgreiche „evolutionäre Anpassung an die räuberische Lebensweise der Wölfe“ bezeichnete.

Es kam aber noch dicker: In der FAZ rezensierte ein Lorenz Jäger (!) die neu herausgegebenen Schriften von Herbert Marcuse – unter dem Titel „Traktat von der Friedlichkeit der Wölfe“. Damit bezog er sich auf Marcuses Meinung, die Sowjetunion müsse man zwar „theoretisch denunzieren“, der wahre Feind seien jedoch die USA. Der antikommunistische FAZ-Autor geriet darüber in ein metaphorisches Delirium: „Dies war nun die Botschaft, die Marcuse in den Sechzigerjahren verkündete. In der Epoche des Diskurses mussten die sieben Geißlein mit besserem theoretischen Rüstzeug von den friedlichen Absichten des Wolfs überzeugt werden, und da war es nützlich, auf eine Abhandlung zurückgreifen zu können, die bewies, dass man die Raubgier der Wölfe unterschätzt habe. Hinzu kam das bewährte Kreidefressen.“ Was meint er bloß?!

Ähnlich albern-antikommunistisch kommt der spanische Film „El Lobo“ (Der Wolf) des französischen Regisseurs Courtois daher: Um die Terroristen der ETA zur Strecke zu bringen, schleust sich ein Spitzel namens Eguia über das Bett der schönen Kämpferin Amaia in die Organisation ein – und lässt schließlich die ganze ETA-Führung hochgehen. Kann es sein, dass wir schon so weit sind: Sobald sich ein Feuilletonist oder Filmer mit dem Wolf befasst, kommt neodarwinistischster Schwachsinn dabei raus? Zurück zum gewöhnlichen neoliberalen Wirtschaftswolf: Hier schossen die Chinesen gerade den Vogel ab, wie der Schanghaier Kollege Wei Wutai uns sozusagen brühwarm mitteilte. Sein Wolfstext kann am kommenden Montag an dieser Stelle nachgelesen werden.