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Archiv-Artikel

Du bist so wunderbar

Berlin war meine erste Stadt, und ich dachte, das zwischen uns wäre für immer. Aber dann fand sie plötzlich immer mehr Verehrer. Die Geschichte einer Beziehungskrise

Wenn man die Liebe einer Stadt verliert, ist man als Mann vollkommen machtlos

Als ich Berlin kennen lernte, war ich noch ganz unerfahren in solchen Dingen. Sie war meine erste Stadt, und ich dachte, das zwischen uns wäre für immer. Wenn es heute nicht mehr richtig klappt, liegt das sicher auch an mir. Im Grunde weiß ich ja noch immer nicht, wie man als Mann mit Städten umgehen muss, Mann und Stadt sie sind einfach zu verschieden.

Vielleicht hätten wir uns nicht so oft sehen sollen, zuletzt waren wir ja fast täglich zusammen. Nach über dreißig gemeinsamen Jahren kann man sich natürlich nicht mehr überraschen. Mag sein, dass Vertrautheit auch manchmal in Langeweile umschlägt. Morgens habe ich sie ja oft kaum beachtet. Ich las die Zeitung und vergaß sie völlig. Ach, wenn ich die Zeit noch einmal zurückdrehen könnte!

Ich erinnere mich noch, wie alles begann, ich war fast noch ein Kind, und sie schon eine erfahrene Stadt. Ich glaube, was sie an mir reizte, war mein jugendlicher Enthusiasmus. Wir hatten große Pläne. Aber während ich immer älter wurde, schien sie sich ständig zu verjüngen. Zuletzt erkannte sie oft kaum wieder, ich sah sie an und fragte mich, wo die Stadt geblieben war, die ich einmal gekannt und geliebt hatte.

Ich versuchte alles, um unsere Beziehung zu retten. Ich hatte gelesen, man solle eine Stadt eifersüchtig machen. Es ist ja nicht leicht für einen Mann sich in die Logik der Stadt hineinzudenken. Ich verschwand also für ein paar Tage in einer anderen Stadt und schrieb Berlin keine Karte. Als ich wiederkam, ließ sie sich nichts anmerken. Ich dachte, sie sei zu stolz, zuzugeben, dass ich ihr gefehlt hatte. Aber dann erfuhr ich, dass sie sich in meiner Abwesenheit mit anderen Männern getroffen hatte.

Erst jetzt fiel mir auf, wie viele Bewunderer sie hatte, jeden Tag kamen neue dazu und betrachteten sie mit gierigen Augen. Und Berlin scheute sich nicht, ihnen ihre Sehenswürdigkeiten zu zeigen.

Trotzdem gab ich nicht auf, ich machte ihr kleine Geschenke. Eine Schachtel Pralinen, an einer Straßenecke hinterlegt, schien sie gefreut zu haben, jedenfalls war sie am nächsten Tag nicht mehr da. Kleine Zettel, die ich an die Häuserwänden klebte, sollten sie morgens überraschen: „Berlin, du bist die schönste Stadt der Welt.“

Aber es war zu spät. Die Leidenschaft war erloschen. Abends sah ich immer länger fern, während sie sich langweilte und an ihre Städtepartnerschaften dachte.

Wenn man die Liebe einer Stadt verliert, ist man als Mann machtlos.

Dass ich sie dann einmal mit einer jüngeren Stadt betrog, war das Ende. Wenn es ein Dorf gewesen wäre, hätte Berlin vielleicht noch einmal darüber hinweggesehen, ein Dorf war für sie keine ernsthafte Konkurrenz, aber so eine dahergelaufene Stadt aus Osteuropa, die doch nur mein Geld wollte, das war zu viel. Berlin verließ mich, und ich suchte die Schuld bei mir.

Um meinen Kummer zu vergessen, reiste ich um die Welt, ich hatte zahlreiche Affären, jeden Tag eine andere Stadt, mit manchen verbrachte ich nur eine Nacht. Ihre Namen vergaß ich, sie bedeuteten mir nichts, es war nicht wie mit Berlin.

Und jetzt bin ich wieder hier, und es tut mir Leid. Berlin ist schöner denn je, Männer umschwärmen sie, sie kommen von weit her, um einen Abend mit ihr zu verbringen. Ich weiß nicht, was sie an diesen Typen findet, aber wer kann schon ins Herz einer Stadt schauen?

Natürlich bin ich eifersüchtig, wenn ich sehe, wie sie sich jedem Beliebigen hingibt, aber was kann ich machen? Ich hatte meine Chance.

Vielleicht sollten wir es noch einmal miteinander versuchen. Auch wenn es nicht mehr wie früher sein kann, dazu ist zu viel passiert. Aber wenn wir von Anfang an ehrlich zueinander sind, warum nicht?

Man kann doch nicht einfach alles hinwerfen. Man muss doch auch an die Kinder denken, die sich so schwer an eine andere Stadt gewöhnen würden.

Berlin, ich bin nicht mehr derselbe, ich habe aus meinen Fehlern gelernt. Ich will keine andere, als dich. Willst du wieder meine Stadt werden?

JOCHEN SCHMIDT