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Archiv-Artikel

PETER UNFRIED über CHARTS Wo ist der Spin? Und wer spint?

Das Wahlkampf-Tagebuch (I): Joschka „Fatboy“ Fischer – ein Mann macht sich dünn bzw. eben nicht

Erster Tagebucheintrag von Mitte letzter Woche: „Oooch, Leute. Habe keinen Bock auf diese Wahl. Es ist doch alles gesagt und entschieden.“

Zweiter TBE: „Hm.“

Dritter TBE: Danke, Bild. Die Beschäftigung des Boulevarddingsbums mit dem langjährigen Bundesaußenminister Joschka Fischer („Grüne in Sorge. Joschka zu fett für Wahlkampf“) hat überraschend doch noch mein Interesse geweckt. Nicht an der Figur Fischers („schon jetzt 130 Kilo“). Aber an der Figur Fischer. Die Frage ist selbstverständlich: Wo ist der Spin? Und wer spint?

Die Sache ist vordergründig klassischer Boulevard: die inhaltsarme, trivialisierte, emotionalisierte Beschäftigung eines ewigen Oberflächenstoffs (dick vs. dünn) zur Befriedigung der Lust des Kunden – und/oder der eigenen. Es geht nicht um komplizierte Dinge wie Reisefreiheit oder Regulierung der Globalisierung. Die Botschaft lautet: Joschka (Bild nennt Fischer nur Joschka) muss abnehmen. Damit er fit ist für den Wahlkampf. Aber die Sache hat noch weitere Ebenen. Die zweite könnte sein: Tit for tat. Nun muss Fischer büßen dafür, dass die Linken/Grünen/alle einst jahrzehntelang dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl seine Fettleibigkeit vorgehalten haben. Andererseits könnte man sagen: Die Gleichsetzung Fischer = Kohl adelt einen altgedienten Vizekanzler in gewissen Kreisen und lobt ihn ausdrücklich dafür, dass er so staatstragend fett daherkommt – und so wenig grün. Das hätte bis vor wenigen Tagen gelten können.

Und damit sind wir bei der dritten Ebene. Das ist die interessanteste. Auf der weist die Geschichte über Bild hinaus und geht so: Fischer? Er ist (zu) fett. Punkt. Ansonsten ist über Fischer nichts mehr zu sagen. Das ist eine Interpretation, die Bild nicht exklusiv hat. Erstens kommt der Kern der Geschichte („Grüne in Sorge“), ganz wie es das Lehrbuch des Boulevard vorschreibt, aus einer so genannten seriösen Quelle, der SZ. Zweitens symbolisiert und konstituiert der fette Fischer die gern kritisierte Bräsigkeit und Unbeweglichkeit, vor allem aber die mangelnde inhaltliche Perspektive der Grünen in einer Regierungskoalition, die es de facto nicht mehr gibt.

Die Frage jenseits von Bild ist: Wie soll ausgerechnet dieser Fischer, der anscheinend bräsigste und angekommenste und fetteste von allen, sich an die Spitze eines grünen Wahlkampfs stellen, dessen einziges sinnvolles Ziel es sein kann, eine glaubhafte inhaltliche, moderne Opposition zu erarbeiten und zu verkörpern – nicht allein gegen Merkel/Stoiber/Westerwelle, sondern auch gegen Merkel/Müntefering? Tja. Entweder man nimmt einen Dünneren (damit käme derzeit selbst Bütikofer infrage). Oder Fischer erfindet die Figur Fischer neu.

Diese neue Figur kann, chronologisch betrachtet, nicht in die Vergangenheit weisen, also in die Zeit, bevor er dicker, fetter Außenminister wurde und war. Nein, sollte der Trick funktionieren, müsste die Figur in die Zukunft weisen. Also: ein linker Straßenkämpfer, dessen historische Mission sich, individuell und gesellschaftlich betrachtet, eben nicht dadurch erfüllt hat, dass er Außenminister wurde. Sondern die sich erst in einer Zukunft erfüllt, wenn der zum Außenminister gewordene Straßenkämpfer als Oppositionsführer, auf den guten und schlechten Erfahrungen von Rot-Grün aufbauend, Teilen der Gesellschaft neue Wege weist.

Ob Fischer das kann, müssen andere beurteilen. Zunächst müsste er Lust und Willen ausstrahlen. Willen, sein Außenministertum nicht als letztes Wort stehen zu lassen. Lust, sich statt bloß um die Welt um grüne Themen kümmern zu dürfen. Lust, sich mit Bütikofer rasante Kreativdiskussionen zu liefern. Hm.

Zugegeben: Wahrscheinlich klingt das alles nicht. Aber Bild und taz („Fischer ist Geschichte“) haben den großen alten Mann ein bisschen gekitzelt, und man wird sehen, ob und was noch kommt. Und damit sind wir beim Samstagtitel von Bild: „Joschka läuft sich wieder dünn!“ Eine echte Sensation. Zu sehen ist Fischer beim Joggen („Berlin, 20.25 Uhr“), eindeutig als Privatperson in privatnaher Umgebung abgelichtet.

Wer auch immer wie daran gedreht hat, dass dieses Bild erschien: Nun ist die Geschichte rund – womöglich für Bild, in jedem Fall aber im Sinne des amtierenden Fatboys. Ist doch klar: Wer joggt („85 Gramm schon weg!“), kriegt eindeutig den Arsch hoch. Um wie viel mehr gilt das für einen, der sich von Bild dabei fotografieren lässt? Wer abnimmt, sucht das Dünne = Gute. Der ändert sich. Kämpft. Sprengt die Ketten um den Bauch. Sucht einen Neuanfang. So einer will dünn werden – aber sich nicht dünnmachen. Genug damit.

Die Symbolik ist da – jetzt könnte man über Inhalte reden. Dann wird es richtig interessant.