„Die Behörden haben es sich zu leicht gemacht“

NEUKÖLLN Wie die Familie des am vergangenen Donnerstag erschossenen Burak B. erhebt auch die Mutter des im März erstochenen 18-jährigen Yusef El A. schwere Vorwürfe gegen die Polizei: Selbst zwei Tage nach der Tat habe sich noch kein Beamter bei ihnen gemeldet

■ 42, kam als Kind palästinensischer Flüchtlinge aus dem Libanon nach Deutschland. Sie wuchs in Bayern auf, lebt seit etwa 20 Jahren in Berlin und arbeitet derzeit als Bürogehilfin. Yusef war das älteste ihrer vier Kinder.

INTERVIEW ALKE WIERTH

taz: Frau El A., Sie haben bei einer Gedenkfeier für Ihren Sohn gesagt, Sie seien von den Behörden enttäuscht. Warum?

Maida El A.: Ich hatte noch keinen Brief oder Besuch von der Polizei, noch kein Aktenzeichen, als im Fernsehen schon bekannt gegeben wurde, der Täter sei wieder frei.

Das war zwei Tage nach der Tat. Die Polizei hatte da noch keinen Kontakt zu Ihnen aufgenommen?

Nein. Ich habe mich durchtelefonieren müssen, um herauszufinden, welcher Beamte den Fall bearbeitet. Ich fragte mich, ob die uns für dumm halten, nicht ernst nehmen? Wir sind doch die Eltern! Ich habe immer gedacht, ich bin eine starke Frau. Aber das ist sehr hart.

Wie haben Sie denn erfahren, dass Ihr Sohn tot ist?

Eltern von Freunden von Yusef, die das Ganze mitbekommen haben, haben eine Nachbarin angerufen und gesagt, dass Yusef zum Krankenhaus gefahren worden ist und dass er einen Messerstich hat. Die Nachbarin sagte, es sei nichts Schlimmes. Ich bin dann zum Krankenhaus gefahren. Dort waren viele Leute, die Polizei, die Jungs, da dachte ich schon, was ist denn los? Dann war es leider schon auch … er war angeblich schon zu dem Zeitpunkt … wir haben ihn ja leider nicht gesehen. Wir durften ihn nicht sehen.

Warum nicht?

Er war operiert worden, man hat versucht, ihn wiederzubeleben. Aber es ging nicht mehr. Der Arzt meinte, der Stich ging ins Herz.

Was hätten die Behörden anders machen sollen?

Sich mehr Mühe geben! Sie haben es sich zu leicht gemacht. Ich habe oft für Leute übersetzt, war mit bei Gericht. Daher kenne ich Fälle, da waren die Tatverdächtigen in Haft bis zur Gerichtsverhandlung, weil man gesagt hat, wir haben noch nicht genug ermittelt und noch nicht genügend Beweismittel. Das waren nicht mal Tötungen. Und dann geht man mit so einem Fall so um? Auch wenn es Notwehr war: Man muss doch erst mal ermitteln. Ich habe immer gedacht, die Gesetze sind nicht umsonst. Ich war der Meinung, dass alles genau überprüft und danach entschieden wird. Aber in diesem Fall, bei einem Totschlag, dass sie das so leicht nehmen, das verstehe ich nicht.

Glauben Sie, dass die Behörden sich so verhalten haben, weil Ihr Sohn arabischstämmig ist?

Ich hoffe nicht, dass es so ist. Das weiß man nicht. Ich dachte immer, die machen ihre Arbeit, ob das jetzt ein Deutscher ist oder ein Türke oder was weiß ich. Gesetz ist Gesetz – das gilt doch für alle, oder nicht? Egal, ob ich schwarze oder rote Haare habe.

Haben Sie die Berichterstattung über den Fall verfolgt?

Ich habe keine Zeitungen gekauft, aber die Leute haben mir welche gebracht. Und ich hatte das Gefühl, dass in den Medien vieles falsch dargestellt worden ist. Man hat meinen Sohn mit dem Täter gleichgestellt. So auf die Art: Yusef ist ja auch nicht ohne, er hat auch schon eine Akte. Das fand ich traurig. Ich habe sogar bei einigen Zeitungen angerufen, nachdem ich deren Berichte gelesen hatte.

Ihr Sohn hatte ein Gerichtsverfahren wegen Mofa-Diebstahls, das eingestellt wurde.

Ja, er musste vor das Jugendgericht. Aber das darf man doch nicht vergleichen. Er war damals 13 Jahre alt, der Täter ist ein erwachsener Mann. Mein Sohn war kein Engel, natürlich nicht. Er war viel unterwegs, hatte viele Freunde, da kommt man auch mal in Konflikte. Aber er war keiner, der Konflikte ausgelöst hat. Er war nett, hat oft geholfen. Er war einer, der nicht weggucken konnte. Er war ja auch Streitschlichter und hatte einen Kurs dafür gemacht. Und abgesehen davon: Ich kenne meinen Sohn, ich weiß, wie ich meine Kinder erziehe. Ich weiß, wie sie mit anderen umgehen müssen. Ob das nun ein Deutscher ist oder jemand anderes, das spielt für uns keine Rolle. Jetzt sagen mir hier fremde Leute: Dein Sohn hat mir beim Einkaufen geholfen, er hat mir immer die Tür aufgehalten – und jetzt ist er weg. Das waren Kleinigkeiten, aber da sieht man doch, wie ein Mensch ist!

Sind Sie von den Deutschen enttäuscht?

Nein. Man darf das nicht in einen Topf schmeißen. Ich habe viele Kontakte zu Deutschen, meine Nachbarn hier sind topp. Die sind jetzt so nett – das gibt mir das Gefühl, dass wir keine schlechten Menschen sind. Wenn die mit mir gemeinsam trauern, dann weiß ich, dass ihnen an meinem Sohn etwas gelegen hat. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich hier als Ausländerin betrachtet werde.

Würden Sie jetzt gerne weggehen?

Aus Deutschland meinen Sie? Ich weiß es nicht. Manchmal spielt man mit dem Gedanken. Man will ja den Kindern auch ein besseres Leben bieten. Aber wir sind Palästinenser. Wo sollen wir denn hin?

Haben Sie jetzt Angst um Ihre Kinder?

Ja, und das sollte doch eigentlich nicht so sein. Ich habe mich immer wohlgefühlt hier, ich habe mich verständlich machen können, meine Kinder hatten keine Schwierigkeiten, auch in der Schule nicht, nie. Und dann kommt so etwas und macht einem alles kaputt, was man aufgebaut hat. Mein Sohn ist tot und ich kann ihn leider nicht zurückbringen. Aber man sollte es für uns nun nicht schlimmer machen, als es ist.