berliner szenen: Süchtig nach Bechdel
Die Köpfe mit Perücken im Afro-Shop in der Karl-Marx-Straße und die Braut auf dem Pferd im Hochzeitsgeschäft am Kottbusser Damm kommen mir heute melancholisch vor. Meine Lieblingsschaufensterpuppen gucken ausdruckslos vor sich hin, Kleidung und Augenschatten glitzern, als kämen sie gerade verkatert von einer Party ans Tageslicht nach draußen (nur das Pferd scheint so nüchtern wie immer zu sein). Oder als wären sie auch, wie ich, krank gewesen und heimlich aufgestanden, um ihre Stelle nicht unbesetzt zu lassen.
Ich habe allerdings aus anderen Gründen das Bett verlassen. Zum einen, weil ich es nach einem Tag nicht weiter ertragen konnte, die strahlende Sonne, die dunklen grünen Blätter und den perfekten blauen Himmel nur durchs Fenster zu sehen. Oder, da jedes Mal, als ich es geschafft habe einzuschlafen, der Gesang der Vögel sich in den Soundtrack meiner Träume mischte. Zum wichtigeren anderen: Ich wollte es zur Buchhandlung schaffen, bevor sie schließt. Im Krankenbett habe ich angefangen, Dyke-Comics der US-amerikanischen Comiczeichnerin Alison Bechdel zu lesen und bin süchtig geworden. „Was?? Kennst du sie etwa noch nicht?“, hatten mehrere Freund*innen gefragt.
Mit den letzten Reserven Energie gehe ich also hinaus, um mir mehr davon zu beschaffen. Ich steige die Treppe hinunter und eile, aber in Zeitlupe, über die Reuterstraße, die Sonnenallee und die Weserstraße in Richtung Hermannplatz. Mir tut alles weh. Wäre ich eine Comicfigur, würden fliegende Sternchen um meinen Kopf schwirren. Doch: Ich komme rechtzeitig zum Buchladen und kaufe das Buch (eine Gesamtausgabe), dann entscheide ich mich, noch beim Asiamarkt vorbeizugehen. Gute Lektüren und scharfe Suppen werden alles wieder gut machen.
Luciana Ferrando
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