Parlament seilt sich nicht ab

Mehr oder weniger Demokratie in den Bezirken? Die Fachleute der Parteien trotzen dem Senat und lassen Gesetzentwurf für Bürgerentscheide fast unverändert. Beschluss noch vor der Sommerpause

VON ULRICH SCHULTE

Tja, so funktioniert sie eben, die Demokratie von unten: Das Parlament will Bürgerentscheide in den Bezirken. Dem Senat geht die Revolution zu weit. Das Parlament kümmert sich nicht drum. Und Innensenator Ehrhart Körting (SPD) sitzt ganz vorn im Sitzungssaal 311 des Abgeordnetenhauses und muss sich das Ganze stumm, mit gefalteten Händen anhören. Die Sitzung des Innenausschusses geriet gestern zu einem parteiübergreifenden Plädoyer für mehr direkte Demokratie, und das lässt sich von diesem Gremium selten behaupten.

Wie viel trauen wir den Bürgern zu? „Die Kernfrage der Diskussion“ (Alexander Ritzmann, FDP) beantworten die Fachexperten schlicht so: Eine Menge. Denn die Fraktionen von SPD, PDS, Grünen und FDP trotzen der Landesregierung und beharren auf ihren weitreichenden Plänen, Bürgerentscheide in den Bezirken einzuführen. Der Senat hatte jüngst ein Zustimmungsquorum von 10 Prozent gefordert (die taz berichtete). Aus der Stellungnahme übernahmen die Parteifachleute zwar juristisches Klein-Klein, die Kernempfehlung des höheren Zustimmungsquorums ließen sie aber lässig abtropfen – und winkten zwei Anträge durch, um die Landesverfassung und das Bezirksverwaltungsgesetz zu ändern.

Es bleibt also dabei: 3 Prozent der Wahlberechtigten des Bezirks müssen für ein Thema unterschreiben, an der Abstimmung müssen sich 15 Prozent beteiligen, was bei der einfachen Mehrheit einem nötigen Quorum von 7,5 Prozent entspricht. „Die meisten Entscheidungen werden nur einen Teil des Bezirks betreffen, es ist daher falsch, die Schwelle zu hoch anzusetzen“, sagte Ausschussmitglied Fritz Felgentreu (SPD). Zudem hätten private Initiativen nicht die Erfahrung von Parteien, Menschen für ihre Belange zu gewinnen.

Die lobenswerten Erörterungen, die darauf fußen, dass Berlin bisher das einzige Bundesland ohne derlei kommunale Mitbestimmung ist, werden also noch in diesem Jahr handfest – ob es nun die Bücherwahl der Bezirksbibliothek, die Tempo-30-Schwelle im Wohngebiet oder die Fußgängerampel vor der Kita ist. Das Parlament soll die Gesetzesänderungen vor der Sommerpause beschließen, also in der Plenardebatte am 16. Juni. Erste Bürgerentscheide könnten nur wenig später auf den Weg gebracht werden, nach fünf Jahren soll es eine Evaluation geben.

Lediglich bei einigen Haushaltsfragen und den Bebauungsplänen gibt es in der großen Koalition für „Mehr Demokratie“, so der Titel der Anträge, noch einen Dissens: Grüne und FDP wollen den BürgerInnen etwa zubilligen, Bebauungspläne als gültige Satzung zu erstellen. SPD und PDS wären wegen juristischer Bedenken glücklicher, wenn Bürgerentscheide hier eher empfehlenden Charakter hätten. Ob Ersteres den Leuten ein Stücken mehr Macht in die Hand gibt, ist umstritten: „Es bliebe den Bewohnern ja offen, per Entscheid die Änderung eines erstellten Planes zu fordern“, sagt der PDS-Abgeordnete Peter-Rudolf Zotl. Die Fachausschüsse sollen die Fragen endgültig klären.

Ein bisher offener Punkt ist jedenfalls geklärt: Der Bürgerentscheid beinhaltet ein Veto gegen das Bezirksamt. Sobald die im ersten Schritt nötigen 3 Prozent der Stimmen beisammen sind, darf die Behörde keinen dem Anliegen entgegenstehenden Beschluss mehr treffen – bis die Wahlberechtigten endgültig über den Entscheid befunden haben. Es klingt unglaublich, doch die Ämter werden bald nicht mehr um die Wünsche der BürgerInnen herumkommen.