: Demokratie frisst Machtmonopol
Äthiopien betritt Neuland: Erstmals wird die Politik nicht mehr von einer einzigen Kraft monopolisiert. Die regierende EPRDF gewinnt zwar die Wahlen deutlich, aber Oppositionelle schaffen den Durchbruch in der Hauptstadt. Kritik an EU-Beobachtern
AUS ADDIS ABEBA ULRICH MÜLLER-SCHÖLL
Zwei Wochen nach den Wahlen in Äthiopien steht die regierende EPRDF (Revolutionär-demokratische Front des äthiopischen Volkes) immerhin als Siegerin fest. Mit einer Woche Verspätung gab die Wahlkommission bekannt, dass die EPRDF bis jetzt 283 der 547 Parlamentssitze gewonnen hat – bisher hielt sie mit Satellitenparteien 519 Sitze. Die Opposition hat von 12 auf bereits über 170 Sitze zugelegt. Der 8. Juni, an dem das Endergebnis hätte verkündet werden sollen, sei nicht mehr zu halten, so die Wahlkommission. Ändern dürfte sich am Resultat jedoch nichts mehr.
Damit hat sich eine Situation entspannt, die sich zeitweise am Rande eines Staatsstreichs zu bewegen schien. Am Tag nach der Wahl vom 15. Mai hatte der Regierungssprecher entgegen dem Rat von Premier Meles Zenawi bereits den Sieg für die EPRDF reklamiert. Sie habe 328 Sitze gewonnen, gegenüber 213, die die Opposition für sich beanspruchte. Die Parteien beriefen sich dabei auf Schätzungen ihrer Beobachter in den Wahlkreisen. Am selben Abend gab Meles jedoch auch bekannt, die Armee und die örtlichen Sicherheitskräfte seien ab sofort seinem Kommando unterstellt, und es gebe ein einmonatiges Demonstrationsverbot. Viele deuteten dies als Anzeichen dafür, dass die Wahlen doch von der Opposition gewonnen worden seien.
Eine etwas unglückliche Rolle spielte hier auch das Wahlbeobachtungsteam der EU. In seinem Statement vom 17. Mai zählte es zwar negative Momente auf, gratulierte dem äthiopischen Volk aber zu den erfolgreichen Wahlen und lobte sie als „wichtigen Schritt im Prozess der Demokratisierung und staatlichen Stabilisierung in Äthiopien“. Dann aber wurde durch eine undichte Stelle ein internes Memo der EU-Mission bekannt, worin es hieß, man müsse Unregelmäßigkeiten deutlicher ansprechen, sonst werde die Wahlbeobachtungsmission womöglich für „mangelnde Transparenz“ und „Wahlfälschung“ verantwortlich gemacht.
Verwirrt hatte auch, dass EU-Missionschefin Ana Gomes vor Diplomaten offenbar die Vermutung geäußert hatte, sie rechne mit einem Sieg der Opposition. „Sagt die Wahrheit oder haltet den Mund und geht“, schrieb die der Opposition zuzurechnende Tageszeitung Daily Monitor.
Noch zwei Wochen vor dem Wahltermin hatte kaum einer mit der Opposition gerechnet. Als dann 2,5 Millionen Menschen zum Wahlkampfabschluss der Oppositionskoalition CUD pilgerten, löste dies einen Stimmungsumschwung aus. In der Hauptstadt Addis Abeba kam die Regierungspartei nirgends über 25 Prozent hinaus und gewann keinen einzigen Wahlkreis. In den gleichzeitig stattfindenden Wahlen zum Stadtparlament wurde auch der eben noch zum „Mayor of Africa 2005“ gewählte Bürgermeister von Addis weggefegt. Eine der oppositionellen Wochenzeitungen war darüber so bestürzt, dass sie sogleich Überlegungen anstellte, wie der populäre Bürgermeister doch zu halten wäre.
Trotz eines relativen Aufschwungs zählt Äthiopien heute noch immer zu den drei ärmsten Ländern der Erde. Die EPRDF, die 1991 unter dem damaligen Rebellenführer und heutigen Premier Meles Zenawi den sozialistischen Diktator Mengistu gestürzt hatte, setzte 1994 eine demokratische Verfassung in Kraft, die den über 20 Völkern Äthiopiens erstmals Selbstbestimmungsrechte verlieh. Eritrea, das sich in einer Volksabstimmung gegen die äthiopische Föderation entschied, ließ Meles ziehen. 1998 wurde Äthiopien von Eritrea überfallen, ein zweijähriger Krieg um den Grenzverlauf forderte 70.000 Tote; Äthiopien siegte, trotzdem erklärte Meles sich prinzipiell einverstanden, die umkämpften Gebiete entsprechend einer Kommissionsentscheidung an Eritrea abzutreten. All dies verschaffte ihm international hohes Ansehen, im Volk und in der eigenen Partei jedoch weniger. Hinzu kamen Dürrejahre, so dass die Wirtschaft nicht vorankam.
Die Oppositionsparteien eint indes kaum mehr, als dass sie nicht wieder aufgrund ihrer Zerstrittenheit auf bloße 20 Mandate dezimiert werden wollten. Jetzt hört man von der Opposition vor allem Drohungen, das Parlament zu boykottieren. Ihre populistischen Forderungen – Rückgewinnung des eritreischen Hafens Assab und damit Zugang zum Roten Meer, Revision der föderalen Struktur, weil sie ethnische Differenzen schüre – sind entweder unrealistisch oder gefährlich. Profilieren konnte sich die Opposition durch den Vorsatz, das bisher staatseigene Land veräußerbar zu machen und damit den Bauern das Eigentum an ihrer Scholle zu geben.
Programme allerdings spielen kaum eine Rolle. „Wir sind einfach glücklich, dass sich gezeigt hat: Wir können etwas ändern“, kommentiert ein Bürger von Addis Abeba die Stimmung.