: In Deutschland ist Ramadan
FASTEN Hunger am Tag, Genuss bei Nacht. Aber nicht ohne meine Mutter aus Marokko, ihre Suppe und den Zwang
■ Für die Harira Sellerie, Petersilie, Zwiebel, Tomaten kochen. Fleisch und Kichererbsen in ein Tuch wickeln und dazugeben. Nach drei Stunden das Tuch rausnehmen, den Rest pürieren. Heißes Wasser dazu und köcheln lassen. Die Suppe mit Mehl binden, Suppennudeln und Ei dazu. Fertig.
VON ABDUL EL-AJOUBI
tagRamadan kann im Sommer oder im Winter sein. Jedes Jahr beginnt er elf Tage früher als im Vorjahr. Das bedeutet: Alle siebzehn Jahre ändert sich die Witterung während des heiligsten Monats, weshalb meine Oma immer sagte: „Früher war alles besser. Im Ramadan hat es sogar geregnet, und es war nicht so lange hell!“
Ob es früher tatsächlich besser war, kann ich kaum beurteilen. Doch meine Oma hatte auf jeden Fall recht: Wenn es im Ramadan regnet, dann ist es um einiges besser. Im Winter sind die Tage schließlich kürzer. Von der Morgen- bis zur Abenddämmerung dürfen fromme Muslime nichts essen, nichts trinken, nichts rauchen und keinen Sex haben. Der „Fastenmonat“ stand ursprünglich für Gottesfurcht, Enthaltsamkeit und religiöse Gesinnung. In Wirklichkeit hat er sich zu einer rein kulinarischen Angelegenheit entwickelt. Und so habe ich ihn auch erlebt.
Im Ramadan fangen die Tage etwas später an. Als ich noch ins Gymnasium ging, durfte der Unterricht erst um neun Uhr beginnen statt wie üblich um acht. Die meisten Mitschüler haben vor allem in den ersten drei Stunden nur geschlafen. Mundgeruch und andere Ausdünstungen dominierten den Klassenraum. Zum einen, weil manche Angst hatten, dass das Fasten durch Zähneputzen gebrochen werden könnte – durch versehentliches Schlucken von Wasser oder Zahnpasta. Zum anderen, weil es im Ramadan üblich ist, kurz vor der Morgendämmerung aufzuwachen, den Tagesvorrat an Speis und Trank zu sich zu nehmen und anschließend den Schlaf fortzusetzen, was verdauungstechnische Probleme auslösen kann.
Spätestens ab der Mittagszeit fängt der Magen zu knurren an. Es hört jedoch auf, einem peinlich zu sein, wenn unklar bleibt, wessen Magen es war.
Nun fängt auch die Uhr an, langsamer zu ticken, die Zeit richtet sich nach dem Fastenbrechen: „Es ist drei Stunden und siebzehn Minuten vor dem Fastenbrechen!“ Jede Minute zählt, und zwar für jeden. Auch ich, der nie ernsthaft gefastet hatte, wurde vom Gruppenzwang angesteckt.
In den Straßen und auf den Märkten kommt der Hunger durch wachsenden Stress und Hektik zum Ausdruck. Alle rennen in alle Richtungen. Käufer wollen schnell den Einkaufskorb füllen, Verkäufer wollen schnell alles loswerden und nach Hause gehen, die Konzentration lässt nach. Es heißt, im Ramadan sollen alle freundlich zueinander sein. Es heißt aber auch: Im Ramadan darfst du niemand Fremdes ansprechen: Streitereien prägen das Stadtbild. Raucher und Kiffer trifft es besonders schwer: Mit jeder Minute werden die „Entzugserscheinungen“ deutlicher und die Stimmen lauter.
Zu Hause war es still
Still war es hingegen zu Hause. Der Schlaf war die beste Flucht vor dem Hunger. Fernzusehen oder in der Küche zu stehen, die köchelnde Suppe zu beobachten und zu riechen waren weitere Alternativen. Ich entschied mich meistens für die erste (in Ägypten laufen allerdings ständig Kochsendungen, erzählte mir meine Freundin Sina), und ich weiß nicht, wie meine Mutter es all die Jahre geschafft hat, zu widerstehen.
Endlich donnern die alten Stadtkanonen. Die Muezzins rufen, fast im gleichen Rhythmus, zum Gebet. Zu Hause wird alles wieder lebendig, die Straßen aber sind schlagartig menschenleer. Das Fest nach dem Fasten kann beginnen.
nachtZum Fastenbrechen gibt es zunächst ein paar Datteln und ein Glas Milch, dann Wasser. An die voll gedeckte Tafel darf man erst nach einer kleinen Pause. So soll der Prophet verfahren haben, so sollten wir es auch zu Hause halten. Bis auf die Pause haben wir alles richtig gemacht – soweit es Datteln gab.
Die ganze Spannung des Tages verschwand erst mit dem ersten Suppenlöffel. Harira, eine landestypische Suppe, ist auf jedem für das Fastenbrechen gedeckten Tisch das absolute Muss. Die Suppe meiner Mutter ist allerdings die beste im ganzen Land. Mein Schulkamerad Adil meinte, die beste sei die seiner Mutter. Da haben sich unsere Wege getrennt.
Alle sind in der Stadt
Gegessen wurde meist bis Stunde zwei nach dem Fastenbrechen. Nach der Suppe gab es ein Gemüse- oder Fischgericht und jede Menge Süßigkeiten. Geliebt habe ich die langen Abende im Ramadan, vor allem im Sommer, wenn sich die ganze Stadt, so schien es, im Zentrum versammelte. Es herrschte trotzdem eine friedliche und entspannte Atmosphäre. Man kann in einem der vollen Cafés mit Kumpels über Politik und Fußball reden, Tee trinken und Sonnenblumenkerne kauen. Man kann die Nüsse aber auch mit Adil teilen, zusammen die Hauptstraße hoch- und runterlaufen und dabei die hübschen Mädels bewundern. Mein erster Zungenkuss und mein erster Griff unter einen BH fanden an einem dieser Ramadan-Abende statt – auf einer Bank im Stadtpark.
Im Ramadan habe ich meist den Tag zur Nacht gemacht, was meine Mutter sehr gestört hat. Wenn man nur schlafe und keinen Hunger verspüre, dann gelte das Fasten nicht, sagte sie immer. Doch ich war nicht der Einzige im Haus, der seinen Biorhythmus den Mahlzeiten angepasst hat. Auch meine Brüder griffen zu dieser Methode. Zudem hatten wir ein Totschlagargument: Wir blieben nachts extra lange auf, um sie rechtzeitig zur letzten Mahlzeit zu wecken. Es gab nichts Schlimmeres, als diesen wichtigen Termin zu verpassen – doch nie hätte einer von uns das Essen zubereitet oder den Tisch gedeckt. Auch wenn sie noch im Halbschlaf war und zwischen Milch und Wasser nicht richtig unterscheiden konnte, ließ meine Mutter keine Hilfe zu. Der Ramadan war ihr Fest. Es war ihr verdammt wichtig, dass wir bei allen Mahlzeiten beisammen sind. Deshalb weiß ich nämlich nicht, wie die Suppe von Adils Mutter schmeckt. Ihm geht’s genauso.
Als letzte Mahlzeit gab es mit Käse und Honig oder Zwiebeln und Hähnchenstreifen gefüllte Pfannkuchen. Wir haben lange gegessen, und weil im Fernsehen nichts lief, haben wir uns unterhalten, bis die Stadtkanonen wieder donnerten – als Hinweis auf den Beginn der Fastenzeit.
Hier in Deutschland, ohne Gruppenzwang, ohne meine Mutter und ohne den krassen Unterschied zwischen den Tagen und den Nächten, ging der Ramadan in den letzten Jahren an mir vorbei. Doch ich vermisse ihn – das Chaos des Tages, die beste Suppe im Land und dass ich nachts vor nichts Angst haben musste. Im Ramadan werden die bösen Geister bis zur 26. Nacht von Allah eingesperrt. Die Polizisten jedoch nicht. Sie tauchen plötzlich auf, wenn du gerade auf einer Bank sitzt, die Hand an einem Busen. Vor ihnen gibt es keine Rettung, es sei denn, eine weibliche leise Stimme sagt: „Und wenn wir sagen würden, bitte, bitte, bitte, verzeihen Sie uns, und wir machen es nie wieder?“