: Zwischen Hyäne und Hüftschwung
KONZERT Die US-amerikanische Band Xiu Xiu provozierte im Festsaal Kreuzberg zu Melodien, die an Post Punk und Synth Pop erinnerten
Der kalifornische Musiker Jamie Stewart, einziges ständiges Mitglied der Band Xiu Xiu, ist bekannt für seine ständigen Provokationen. Seine Texte, die unter anderem von Abtreibungen, Mord und Depressionen handeln, verschmelzen in der Öffentlichkeit stets mit seiner eigenen Figur – sei es in der Musik, bei Auftritten oder auf Internetplattformen wie Twitter.
Wenn er sich in einem Musikvideo mit Erbrochenem bewerfen lässt oder sich im Song „I Luv Abortion“ als gebärende Frau und „mit Tollwut infizierte Hyäne“ beschreibt, rechnet er sicher bereits mit den Kritikern, die die Band dann wahlweise als gewaltverherrlichend oder obszön bezeichnen. Dabei ist Stewart zuallererst ein Künstler, der es versteht, die verschiedenen Inszenierungsmöglichkeiten des Pop so stark wie möglich auszuschöpfen.
Das wurde auch bei dem Konzert deutlich, das Xiu Xiu am Mittwochabend im gut gefüllten Festsaal Kreuzberg gab. Auf der Bühne gibt Stewart mal die Frau, die den Horror ihrer Abtreibung beschreibt, mal einen Mann, der seine Depression offen hinausruft und dabei das Publikum während einer tanzfreudigen Melodie motiviert, es ihm gleichzutun: „If you are wasting your life / Say Hi / If you are alone tonight / Say Hi“.
Zusammen mit drei weiteren MusikerInnen präsentiert Stewart an diesem Abend viele Stücke seines inzwischen achten Studioalbums „Always“ und zeigt dabei einen größeren Pop-Appeal, als man es von Xiu Xiu gewöhnt ist. Gab es zwar immer einmal vorsichtige Hymnen wie zum Beispiel das 2004 erschienene „I Luv The Valley, OH!“, versank die Musik der Band letztendlich nicht selten in sperrigem Noise. Inzwischen wird oft eingängigen Melodien, die an Post-Punk und Synth-Pop erinnern, der Vorrang eingeräumt – ein Einfluss, den es aber auch schon vor zehn Jahren gab, wie ein altes Cover des Joy Division-Hits „Ceremony“ zeigt. Xiu Xiu spielt den Song noch viel treibender als im Original, schnell und mit flirrenden Keyboards. Dabei so energisch und schwitzend, als wollten sie ihm den Pop schon wieder austreiben.
Nicht nur damit betont Xiu Xiu bei ihrem Konzert auch deutlich den Punk-Einfluss ihrer Lieder. Die zwei Gitarren spielen ungewohnt kräftige Riffs, wodurch der Sound eine rohe Dynamik bekommt, wo sich sonst nur verzerrter Hall und Stewarts flüsternder, kehliger Gesang ineinander verschränken. Passend dazu reißen einzelne Gitarrensaiten, und es muss später auch eine kaputtgedroschene Snare vom Schlagzeug ausgetauscht werden. „As the night progresses, the syntheziser will break down and my guitar will light on fire“, witzelt der ansonsten mit Ansagen sparsam umgehende Stewart.
Diese erregte, musikalische Intensität macht den Kampf, den die Lieder von Xiu Xiu ausfechten, noch intensiver. Auch auf „Always“ ringt Stewart wieder mit unbequemen Wahrheiten von zu Sexobjekten degradierten Fabrikarbeiterinnen („Factory Girl“) oder grausamen Inszestfantasien („Black Drum Machine“).
Der Horror ist bei Xiu Xiu nach wie vor musikalisches und textliches Programm, dem Stewart sich auch heute wieder mit geschlossenen Augen und schwitzendem Körper hingibt. Wie sehr er in dieser Rolle aufgeht, zeigt auch die vom Publikum geforderte Zugabe, ein Cover von Suicides „Franky Teardrop“. In abgehackten Hüftschwüngen schlingt er sich dabei das Mikrofonkabel um den Hals und versinkt in einer weiteren Mordfantasie, während seine forsche Zunge das Mikrofon umschlingt. Wortlos verlassen die Musiker danach die Bühne – es wird nicht ihr letzter Albtraum gewesen sein. ELISABETH FORSTER