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Archiv-Artikel

Nicht zum Vergnügen

FILMPOLSKA „Code Blue“ erzählt von einer Krankenschwester, die Patienten tötet. Ein Gespräch mit der Regisseurin

Urszula Antoniak

Die aus dem polnischen Częstochowa stammende Urszula Antoniak studierte in den Niederlanden Film. Ihr vielfach prämierter Erstling „Nothing Personal“ (2009) handelt von einer jungen Vagabundin und einem älteren Witwer. Auch in „Code Blue“ kommen zwei ungleiche Charaktere zusammen: die Krankenschwester Marian, die todkranke Patienten zu erlösen meint, indem sie diese tötet, und ein von Lars Eidinger gespielter Voyeur. Im vergangenen Jahr lief „Code Blue“ in der Quinzaine des Réalisateurs in Cannes. In Berlin ist er am 14. und am 15. April im Rahmen von Filmpolska zu sehen; das Programm des Filmfestivals findet sich unter filmpolska.de.

INTERVIEW KIRA TASZMAN

taz: Frau Antoniak, in Ihrem Film „Code Blue“ bringt Marian, eine Krankenschwester, Patienten um, und es gibt einige sehr gewalttätige Sexszenen. Schockieren Sie gern?

Urszula Antoniak: Nein, überhaupt nicht. Aber das Zusammenspiel von Sexualität und Gewalt stellt eine Art Tabu dar. Trotzdem glaube ich nicht, dass viele Regisseure diese beiden Elemente nur zusammenbringen, um zu schockieren. Außer Lars von Trier, der definitiv eine Ästhetik des Schocks in einigen seiner Filme bedient. Wenn ich das mache, möchte ich das Publikum auffordern, einen Grund dafür zu finden.

Sie zeigen die extremen Handlungen Ihrer einsamen Heldin en detail …

In meinen beiden Filmen entscheiden sich die Protagonistinnen bewusst, allein zu sein. Für mich ist Marian eine Figur, die das Äußerste im Leben will. Sie möchte die äußerste Intimität mit Menschen, nämlich jene mit Sterbenden. Auch in ihrer Beziehung zu dem Mann will sie das Äußerste: dass er ihr einen Orgasmus verschafft oder dass er sie umbringt.

Sie haben einmal gesagt, dass Sie sie nicht verurteilen wollen. Geht das bei so einer Figur?

Als Regisseur kann man nicht eine Figur schaffen und sie gleichzeitig verurteilen. Man muss seine Figuren dahingehend verstehen, dass sie an das, was sie tun, glauben. Marian glaubt an das Töten als eine Art von Gnade. Und dann stellt sie nach der Hälfte des Films fest, dass sie sich selbst belogen hat. Insofern verurteile nicht ich sie, ihre Macherin, sondern sie verurteilt sich selbst, weil sie beginnt, ihre Motive anzuzweifeln.

Sind Sie generell gegen Moral im Film? Das Ende könnte man auch als Bestrafung interpretieren?

Ich glaube nicht, dass Strafe irgendetwas mit Moral zu tun hat. Bei der Moral geht es um die Koexistenz von Gut und Böse. Wenn jemand Gründe für seine Taten nennt, wird ihm praktisch verziehen, oder? Marian glaubt, dass sie das ultimativ Gute tut. Auch Travis Bickle aus „Taxi Driver“ denkt, dass er die Welt vom Schmutz befreit.

Wenigstens hat er ein Mädchen aus den Fängen eines brutalen Zuhälters befreit.

Ja, aber indem er selbst brutal war. Für mich ist meine Heldin eine Figur, die an das glaubt, was sie tut, also ist sie gut. Im Sinne einer Heiligen.

Aber wer bestimmt, wer ein Heiliger ist?

Der christlichen Terminologie entsprechend ist ein Heiliger jemand, der sich für andere aufopfert. Insofern ist sie eine Heilige, sie hat kein eigenes Leben. In ihrer Welt ist das Todbringen die Gnade. Sie macht es nicht zu ihrem eigenen Vergnügen. Aber natürlich gibt es da auch ein Element von Macht. Aber Macht, die man nicht genießt, ist eine andere Art von Macht, als wenn man daraus einen Lustgewinn zieht.

In der Szene, in der der von Lars Eidinger gespielte Mann in ihrer Wohnung ist, soll sie ihn verbal erregen, aber sie spricht von Liebe. Ist das nicht auch eine Art, Macht auszuüben?

Die letzte Szene ist ein Treffen zwischen „Dr. Schiwago“ und Hardcore-Porno. Die Frau begehrt den Typen so sehr, dass sie alle ihre Bedürfnisse auf ihn projiziert – und er gestattet ihr nicht einmal, ihn zu berühren.

Das ist doch Teil des Spiels. Eigentlich sind beide sehr dominant.

Wahrscheinlich ist sie dominanter als er. Sie inszeniert die ganze Situation, aber das ist zu kompliziert für ihn, er wollte nur einen One-Night-Stand. In der letzten Szene, wenn er sie schlägt, ist diese Gewalt fast ein logisches Ende der Situation. Wenn man bedenkt, dass sie innerlich fast tot ist und etwas fühlen will, ist das die Gnade, die er ihr gewährt.

Hat sie einen Todeswunsch?

Ja. Sie ist der Engel des Todes mit einem Todeswunsch. Sie sieht die Anzeichen des Todes in den Augen ihrer Patienten, aber sie kann ihre eigenen Augen nicht sehen. Das ist eine der Theorien, warum Serienmörder-Krankenschwestern töten oder Menschen generell, ein selbstzerstörerischer Impuls.

Haben Sie über Serienmörder-Krankenschwestern recherchiert?

Ja. Natürlich werden wir nie wissen, warum sie das tun, aber sie haben alle ein ähnliches Profil. Sie wechseln von einem Krankenhaus zum anderen. Meist sind sie allein oder geschieden. Außerdem haben auffällig viele von ihnen eine Geschichte von Selbstverstümmelung oder Selbstmordversuchen aufzuweisen.