berliner szenen: Alles ist heute so bizarr
Sie hat den Film gehasst, ich habe ihn geliebt. Auch wenn er mir seltsam vorkommt und nur seltsamer wird, genieße ich „La Chimera“. Meine Freundin A. neben mir langweilt sich. Das ist das erste Mal in 20 Jahren, seitdem wir uns kennen, dass unsere Meinungen auseinandergehen – vor allem, was Filme betrifft. Darüber lachen wir, als wir die Treppe des Passage Kino Richtung Ausgang herunterlaufen.
Auch wenn der Film A. nichts sagte, war sie froh, einen weiteren Kinosaal in Berlin besucht zu haben. Wir waren bisher immer wieder im Rollberg Kino, weil es meinem Zuhause am nächsten steht.
Als wir draußen sind, ist es schon dunkel und eine Gruppe junger Menschen besetzt die zwei Tische am Späti nebenan. Teilweise tragen sie Irokese, teilweise Zimmermänner-Klamotten. Sie bewegen sich aber eher wie Seemänner, hin und her, an den Armen genommen.
Aus einer Musikbox kommen Schlager, sie singen mit. Auch die Passanten scheinen das Lied zu kennen und bleiben stehen, von der guten Laune angesteckt. Einige Minuten später, auf dem Weg in eine Bar, bekomme ich im Vorübergehen den Ausschnitt eines Dialogs mit. „Waffen oder Messer?“, lautet die Frage und die Antwort: „Alter, Messer!“ Ich übersetze für A., die kein Deutsch spricht, und wir stellen fest, dass es wie Kino nach dem Kino ist.
Alles wirkt an diesem Abend bizarr, vielleicht dank des Einflusses des Filmes, den wir uns angeschaut haben. Alles sieht irreal aus: Die alten Straßenlaternen mit gelbem Licht in den Gassen von Rixdorf, die kitschige Dekoration einiger Fenster. In der Kneipe unterhalten wir uns darüber, als wir merken, dass unsere Sessel neben der Jukebox auf einer Bühne stehen. Wir haben plötzlich das Gefühl, von einem Publikum gehört zu werden.
Luciana Ferrando
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