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Archiv-Artikel

Kein Fairplay mit dem Datenschutz

Hamburgs Datenschützer kritisieren ausufernden Sicherheitswahn von Behörden und Institutionen. Ablehnung von Video- und Telefonüberwachung im Polizeigesetz, keine Rechtsgrundlage für angedrohte Massenbeobachtungen bei der Fußball-WM

Von Sven-Michael Veit

Entweder gebe es „mehr Sicherheit oder mehr Freiheit“, sagt Hartmut Lubomierski, „beides zusammen geht nicht“. Eine Tendenz zum „Überproduzieren von Sicherheit seit dem 11. September“ diagnostizierte Hamburgs Datenschutzbeauftragter gestern im Rathaus bei der Vorlage seines ersten Tätigkeitsberichts. Seit seinem Amtsantritt am 22. September 2004 habe er „kein positives Bild vom Stellenwert des Datenschutzes“ gewonnen, gestand Lubomierski. Dieser werde „vielfach“ lediglich als „effektivitätshemmender Stör- und Kostenfaktor betrachtet“.

Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung jedes Einzelnen stehe unter dem permanenten Druck von Behörden und Institutionen, die es immer weiter einzuschränken versuchten. Ohne großen öffentlichen Widerstand, wie Lubomierski feststellte. Gegen die Volkszählung vor 20 Jahren habe es breite Gegenwehr und selbst Boykotte gegeben, erinnerte er, „aber jeder Antrag auf Arbeitslosengeld II heute ist schlimmer, was die Weitergabe persönlicher Daten angeht, als die damaligen anonymisierten Fragebögen“.

Die BürgerInnen heute aber „scheint das alles nicht mehr zu schocken“, so der Datenschützer kopfschüttelnd. Aber ihn und seine Mitarbeiter, weshalb das Amt alle Hände voll zu tun hat, um auch nur die gröbsten Eingriffe abzumildern.

Zum Beispiel beim neuen Hamburger Polizeigesetz, das „massiv in die Privatsphäre“ der BürgerInnen eingreife. Künftig könne „jedermann jederzeit kontrolliert und sogar zwangsweise zur Polizeiwache gebracht werden“, kritisierte Lubomierski die Einführung der so genannten „Verdachtsunabhängigen Personenkontrollen“. Auch die Ausweitung der Videoüberwachung im öffentlichen Raum, mit der „faktisch das gesamte Stadtgebiet“ gefilmt werden könne, gefällt dem Datenschützer nicht.

Alle BürgerInnen müssten das Recht haben, „sich an allgemein zugänglichen öffentlichen Orten wie etwa dem Rathausmarkt unbeobachtet und unerfasst zu bewegen“, findet Lubomierski. Senat und Innenbehörde sehen das anders. Ebenso die Bildungsbehörde, welche die Einführung von Videoüberwachung in mehreren Schulen duldet. Nachfragen an die Behörde seien nicht einmal beantwortet worden.

Die einzige Unterstützung erhielten Datenschützer gelegentlich von Verfassungsgerichten der Länder oder dem des Bundes. Darauf baut Lubomierski auch bei dem geplanten Anhören von Telefonaten und Überprüfen von E-Mails. Demnächst werde das Bundesverfassungsgericht über ähnliche Vorhaben des Landes Niedersachsen entscheiden, weshalb Hamburg seine Pläne vorerst ruhen lasse. Er hoffe, so Lubomierski, auf eine juristische „Notbremse“ aus Karlsruhe.

Ebenfalls sein Missfallen erregen die geplanten Sicherheitsmaßnahmen für die Fußball-WM nächstes Jahr in Deutschland und auch in Hamburg. Bis zu 200.000 Personenüberprüfungen drohten da, und zugleich ein Datenaustausch zwischen Polizei, Verfassungsschutz und „einem privaten Dritten – dem Deutschen Fußball-Bund“. Dafür aber gebe es, so Lubomierski, „keinerlei Rechtsgrundlage“.

Richtig schwummrig wird es ihm durch die Absicht von Innen- und Sportminister Otto Schily (SPD), WM-Partys mit „Face-Catchern“ zu überwachen. Diese Kameras können die biometrischen Daten gefilmter Gesichter mit Randalierer- oder Verbrecherkarteien abgleichen – und flugs schnappt sich ein polizeilicher Eingreiftrupp den Verdächtigten. Erfasst aber werden somit „alle unbescholtenen Bürger“, die ein WM-Spiel auf der Großbildleinwand auf dem Heiligengeistfeld oder Spielbudenplatz ansehen wollen. Auch für diese Pläne, sagt Lubomierski, „gibt es keine Rechtsgrundlage“.

Aber wer erwartet von Sportminister Schily schon Fairplay.