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Archiv-Artikel

Verbotenes in Echtgröße

Totale und Großaufnahme: Im Sportstadion inszeniert Zhang Yimou in Paris Puccinis „Turandot“. Die größte Opernproduktion aller Zeiten setzt auf die Dekoration des Dramas. Die Ausdeutung der Musik jedoch wie auch des Librettos bleibt auf der Strecke

VON FRIEDER REININGHAUS

Wie lernfähig ist das frei fluktuierende Kapital, das im Sektor der Event-Kultur gewinnbringend investiert werden soll? Vor allem in einem Fall wie Puccinis Oper „Turandot“, die der chinesische Filmregisseur Zhang Yimou in Paris inszenierte, wobei die Vorgabe lautete: Die möglichst weitgehende Absenkung der Betriebskosten und eine hohe Auslastung der Spielstätte zusammen mit der medialen Zweit- und Drittverwertung soll das eingesetzte Geld sprunghaft vermehren.

Auch wenn Musiktheater wie hier primär aus ökonomischem Antrieb zustande kommt, muss das nicht zwangsläufig bedeuten, dass es sich künstlerisch nicht ernst nehmen und nur billige Lösungen suchen muss. Doch ein Consortium Stade de France, eine Premium Classics GmbH und eine Equity Live Entertainment GmbH setzen erst einmal nur quantitativ neue Maßstäbe mit der in Peking vor der Kulisse der „Verbotenen Stadt“ entwickelten Inszenierung von Puccinis „Turandot“. In überarbeiteter Form im größten Pariser Sportstadion präsentiert, handelte es sich nun, so die Ankündigung, um „die größte Opernproduktion aller Zeiten“.

Irgendwann, so scheint die Hoffnung gewesen zu sein, schlägt Quantität in Qualität um. Zhang Yimou, geschätzt für Filme wie „Die Rote Laterne“ oder „Ehefrauen und Konkubinen“, befasste sich bereits vor acht Jahren in Florenz mit dem Kunstmärchen „Turandot“. Dann setzte er seine vorwiegend heimatkundlich ambitionierte Sicht auf Puccinis letzte Oper in Peking in Szene und promovierte das Konzept 2002 im Olympiastadion von Seoul. In der Pariser Riesenarena ließ er nun die Nordkurve mit einer gigantischen Chinoiserie überbauen: der Eingang zu Pekings „Verbotener Stadt“ – etwa in Echtgröße. 160 Meter breit. Über seitwärtigen Pylonen, in die große Projektionsflächen für Beamer eingelassen wurden, erheben sich die charakteristischen Dächer.

An Kostümen und Maquillage wurde nicht gespart. Zu jedem Akt-Beginn zieht ein glänzend uniformiertes Trommler-Corps in die monumentale Kulisse, kündet von alter Pracht und Herrlichkeit des Reichs der Mitte. Die Gesichter der Vortrommler unter den imposanten goldenen Helmen erscheinen riesengroß auf den seitwärtigen Bildschirmen. Puccinis Werk jedoch schnurrte auf kinotaugliche 130 Minuten zusammen. Fortwährend rücken Großaufnahmen das jeweilige Zentrum des statuarischen Geschehens nahe, das auf der monströsen Freitreppe in Ameisengröße herumsteht, manchmal auch herumwuselt.

Zu sehen ist, wie der Prinz von Persien, der Turandots Rätsel nicht zu lösen vermochte, zur Hinrichtung geführt wird, mit authentischer Halskrause. Ganz nahe rückt, wie der incognito unter den Schaulustigen weilende Prinz Calaf Feuer fängt beim ersten Anblick der eisig-eisernen Jungfrau. Viktor Lusiuks Stentorstimme beschwört dabei eine Sängertradition, die man mittlerweile wohl für weithin ausgestorben hielt. Genau zu beobachten ist auch die artistische Anstrengung, mit der Irina Gordei die tödlichen oder erlösenden Fragen stellt: sie singt, als müsse sie für die 50.000 Menschen in der Arena ohne Hilfsmittel der Technik intonieren. Dabei könnte sie doch mühelos leicht und kalt bleiben, denn den Rest regeln die Verstärker. Hautnah zu beobachten ist, wie Calaf angesichts der sphinxhaften Andeutungen schwitzt, sie jedoch aufzulösen vermag. Dann aber verspielt er den theoretisch errungenen Sieg, indem er sich der neuerlichen Verweigerung Turandots und ihrer nachgeschobenen Bedingung beugt.

All das zeigt Zhang auf die bewährte Art des europäischen Stadttheaters und zugleich als opulenten Kostümfilm. Ohne Blut und Wunden. Nur mit schmerzerfüllten und vom Glücksverlangen verzerrten Gesichtern. Die Ortsangaben des Librettos wurden beim Wort genommen, der Text jedoch missverstanden. Der hat so viel mehr in sich als nur dekorative Oberfläche. An diesem Stück, das von einem Kunstmärchen Carlo Gozzis und Friedrich Schiller herrührt, lässt sich über den Umweg über Freuds Psychoanalyse ein Turandot-Syndrom herauspräparieren: Es geht im Kern um die bis zur Neurose steigerungsfähigen Vorkehrungen, die der weibliche Wille zur Selbstbestimmung gegen seine Unterdrückung treffen muss.

Unter den großen Gesten des Dirigenten János Ács, der sich bereits mit den 3 Tenören bewährte, leistet ein B-Orchester aus Salerno insgesamt solide Arbeit. Doch die Größe und die Differenzierungen der Musik werden aus den zu laut ausgesteuerten Boxen nicht vernehmlich.

Die Hoffnung, dass die Ästhetik Hollywoods und der Filmstudios von Schanghai mit der guten alten Opera Italiana eine neue heiße Liaison eingeht, erweist sich als trügerisch. Auch die Einnahmeerwartungen der Veranstalter. Wäre das Stadion ausverkauft gewesen, hätten sie bei einem durchschnittlichen Kartenpreis von 91 Euro mehr als 7 Millionen Abendeinnahme erzielt. Doch es dürfte nur halb voll gewesen sein. Die Franzosen haben durchaus ein Faible fürs Große, wohl aber auch ein feines Gespür dafür, wenn ihnen bloß Kulissen vorgesetzt werden.

Am 25. Juni im Olympia-Stadion München, am 9. Juli in der Arena Auf Schalke