Mächtig in Berlin

Seit Angela Merkel als Kanzlerkandidatin feststeht, scheinen selbst kritische Beobachter ihrem Charme zu erliegen. Charme? Ihr Lächeln ist ein Instrument der Macht, nicht der Menschlichkeit

VON ARNO FRANK

Am bisher glücklichsten Tag ihrer Karriere ziert … nein, Halt!, so geht das nicht, also noch mal: Am bisher glücklichsten Tag ihrer Karriere beherrscht die CDU-Vorsitzende Angela Merkel die Titelseiten der wichtigsten Zeitungen des Landes. Die Fotos zeigen die künftige Kanzlerkandidatin der Union in bestem Licht und mit einem strahlenden Lächeln, bei dem sogar die blauen Augen mitzulachen scheinen. Nur in der Bild-Zeitung, wo man der Wirklichkeit gern ein wenig auf die Sprünge hilft, sind ihre Augen grün. Wie die Hoffnung.

Das Magazin Stern breitet den biografischen Hintergrund der Angela Merkel als Titelgeschichte aus – denn sehet, ein Mensch! Die Illustrierte Focus widmet der erblühten Hoffnungsträgerin eine Bilderserie aus 25 Aufnahmen: „Die neue Angela Merkel“. Gelobt werden plötzlich ihre lässig zerstrubbelten Haare, ihr geschmackvolles Make-up, ihr dezenter Lippenstift. Nicht nur die Springer-Presse bescheinigt der 50-Jährigen die Ausstrahlung einer „frisch Verliebten“. Inzwischen schwärmen auch solche Beobachter über Angelas „Aura“, die der „alten“ Merkel, wenn überhaupt, höchstens eine Aura gereizter Müdigkeit zugestanden hätten.

Das fiebrige Interesse an Angela Merkel, die händeringende Hoffnung auf eine CDU-Kanzlerin ist verständlich. Schließlich will diese Frau uns alle regieren. Weil aber unklar ist, was sie sonst noch will, erschöpft sich die mediale Beobachtung der Kandidatin im Abtasten des Äußerlichen.

Dass Mimik, Gestik und Physiognomie eines Politikers werden oft intensiver studiert und interpretiert als sein Programm. Wer das weiß, wie Angela Merkel, der kann es sich zunutze machen. Wenn auch nur zeitweilig.

Gerhard Schröder war so lange der „Medienkanzler“, bis die Medien aus der Nähe das Label seines Anzugs lesen konnten. Von da an war er nur noch der „Brioni“-Kanzler.

Inzwischen hat sich die öffentliche Lesbarkeit seiner körperlichen Benutzeroberfläche endgültig gegen den Kanzler gewendet. Auf seiner ersten Pressekonferenz nach dem NRW-Debakel wurde deutlich, dass Schröder das selbst auch schon gemerkt hat, als er die Presse launig anwies: „Nehmt ruhig die Fotos aus dem Archiv, da hat sich nichts verändert.“

Was sich da alles verändern kann, das hat die Münchener Fotografin und Filmemacherin Herlinde Koelbl in ihrem Bilderbuch „Spuren der Macht“ eindrucksvoll dokumentiert. Über einen Zeitraum von fast zehn Jahren verfolgt sie die Deformationen der Macht. Der dicke Joschka Fischer wird dünn und wieder dick. Der Staatsmann Schröder verwandelt sich in das Denkmal eines Staatsmanns. Und Angela Merkel? Wollte den „Quatsch“ zunächst gar nicht mitmachen, erlag dann doch ihrer Eitelkeit – und ist nun zu sehen, wie sie sich vom verhuschten „Mädchen“, als das Helmut Kohl sie einst der Presse vorstellte, zur Mächtigen wandelte.

Auf den ersten Bildern blickt sie noch scheu von unten in die Kamera, auf den letzten dominiert ein deutlich vorgerecktes Kinn, das allgemein als Merkmal für Durchsetzungskraft und Willensstärke empfunden wird. Genau das ist es auch, was Angela Merkel nach Auffassung vieler seriöser politischer Kommentatoren für den harten Job im Kanzleramt qualifiziert: dass sie mit ihrem Machtwillen die ehrgeizigen Bonzen der eigenen Partei ausgestochen hat.

Am Dienstagmorgen wollte sich das Deutschlandradio das gewinnende Gewinnerinnenlächeln der Angela Merkel von einem Experten erklären lassen – und fragte bei Michael Spreng nach, ehemals Bild-Chef und Ex-Wahlkampfberater des Kanzlerkandidaten Stoiber. Der abgebrühte PR-Experte zierte sich ein wenig, gestand dann aber doch ein, dass dieses siegesgewisse Lächeln selbstverständlich zuvor eingeübt worden sein muss.

Welche künftige Kanzlerin sich hinter dem Lächeln der Kandidatin verbirgt, ist schwer zu sagen. Fest steht nur, dass dieses Lächeln im richtigen Moment zum Einsatz gekommen ist und seine Wirkung nicht verfehlt hat. Und dass wir dieses Lächeln, wenn Angela Merkel wirklich Kanzlerin werden sollte, sicher noch häufiger sehen werden – weil es ihre politische Geheimwaffe ist, mimische Signatur einer unerschütterlichen Glaubwürdigkeit, präzises Instrument einer ewig Unterschätzten.

Angela Merkel hat übrigens schon einmal eine ähnlich grundlos optimistische, aber eben wirksame Haltung ausgedünstet. Damals stand sie als neue CDU-Vorsitzende vor dem Scherbenhaufen des Kohl’schen Klüngelsystems, vor einer zerstrittenen Partei, verstrickt in den Dreck der Spendenaffäre. Auch diesen Sumpf überquerte sie trockenen Fußes, lächelnd.